15 Dinge, die ich in 15 Jahren Twitter gelernt habe

Am 15. Oktober 2022 hat mich Twitter auf mein 15-jähriges Twitter-Jubiläum hingewiesen. Zeit für ein kleines Fazit.

Ich bin seit 15. Oktober 2007 bei Twitter angemeldet. Meinen ersten Tweet habe ich am 16. Januar 2009 geschrieben (keine Ahnung, was mich da geritten hat). Davor war ich nur passiv lesend und habe vergeblich versucht, per SMS einen Tweet abzusetzen (die Älteren erinnern sich vielleicht). Bis 2012 war mein Twitterhandle „@jauchetaucher“. Ich kann Onur und Oliver gar nicht dankbar genug sein, dass sie mich bei der #rp12 überredet haben, den Handle zu ändern. Mein erfolgreichster Tweet (wenn man Herzen und Sternchen als Erfolg zählen mag) ist das alte Donauwellen-Rezept meiner Mama. Auch ein Grund, warum ich noch an das Gute in diesem Netzwerk glaube.

Und hier jetzt die 15 Dinge, die ich in 15 Jahren Twitter gelernt habe:

1. Das Gute an Twitter: Es gibt immer jemand, der oder die es besser weiß

Wenn ich mal eine Frage zu einem – noch so nischigen – Thema habe: auf Twitter bekomme ich meistens brauchbare Hinweise und Antworten von Menschen, die es besser wissen.

2. Das Schlechte an Twitter: Es gibt immer jemand, der es besser weiß

Wenn ich mal keine Frage zu einem – noch so nischigen – Thema habe, sondern nur mal was raushauen will: auf Twitter bekomme ich meistens ungefragt Hinweise und Antworten von Männern, die meinen, es besser zu wissen.

3. Ich bin für meine Timeline verantwortlich

Ich miste meine Timeline regelmäßig aus. Meine grobe Faustregel: nie mehr Accounts folgen, als einem selbst folgen. Lieber bisschen drunter bleiben. Beim Entfolgen gehe ich zwei Wege:

  • Direkt in der Timeline auf unfollow klicken.
  • In regelmäßigen Abständen Twitter-Frühjahrsputz. Dazu habe ich zuletzt immer dieses Tool hier genutzt. Das funktioniert ein bisschen wie Tinder mit rechts/links aussortieren.

Gründe für ein Unfollow:

  • Der Account tut mir nicht mehr gut, macht mir schlechte Laune, nervt mich.
  • Der Account ist inaktiv
  • Der Account interessiert mich inhaltlich nicht mehr

4. Niemals betrunken twittern

Ist am nächsten Tag IMMER peinlich.

5. Vor (fast) jedem Tweet erst noch mal kurz durchatmen

Social-Media-Mechanismen triggern meine Empörung. Ich habe (und mache es immer noch) viel zu oft im Affekt was geteilt über das ich mich im Nachhinein geschämt oder geärgert habe, weil es nur ein Teil der Wahrheit, falsch oder weil die Quelle unseriös war.

Diese (und die vorangegangene) Regel gelten aber nicht für Wortspiele oder Dad-Jokes. Die müssen sofort und zur Not auch betrunken getwittert werden.

6. Nur weil es mir nicht passiert, heißt das nicht, dass es anderen auch nicht passiert

Twitter hat mir meine Privilegien klar gemacht und andere Perspektiven gezeigt. Am eindrucksvollsten wahrscheinlich durch #Aufschrei und dann alle folgenden Hashtags und Debatten, die Marginalisierten und Minderheiten eine Stimme gaben. Und ganz konkret habe ich misogynen Hass gegen Frauen, die sich öffentlich äußern, auf Twitter miterlebt. Alles Sachen, die mich in meinem Leben persönlich nie betroffen haben, weil ich halt der bin, der ich bin: Mittelalter, kartoffeldeutscher Mann mit durchschnittlichem Einkommen.

7. Ich habe viel gelernt auf Twitter

Z.B. über Feminismus. Da dachte ich eigentlich immer: Das braucht man doch gar nicht mehr. Aber ich bin ja auch ein mittelalter, kartoffeldeutscher Mann mit durchschnittlichem Einkommen. Und mit neuen Perspektiven und Erklärungen hat sich meine Einstellung und v.a. mein Wissen geändert.

8. Erst mal Zuhören

Twitter verleitet zum Meinen, Raushauen, Besserwissen und Rechthaben. Und zwar instant, sofort, unverzüglich. Mich auch. Es nervt mich, wenn mir das passiert. Ich versuche bewusst erst mal zuzuhören, nicht immer gleich eine ungefragte Reply abzuschicken, Inhalte erst mal in einen Gesamtkontext einzuordnen. Klappt mal mehr, mal weniger gut.

9. Schimpfen macht mir schlechte Laune

Ich weiß, daß ist nur mit meinen Privilegien möglich. Es gibt genug Menschen, die sich erst mal Gehör verschaffen müssen indem sie richtig laut und lange Schimpfen (s. Punkt 6). Das ist auch gut so. Für mich persönlich habe ich gemerkt, dass mir Schimpfen schlechte Laune macht. Mich in eine negative Abwärtsspirale zieht. Ich versuche es zu lassen. Oder wenn mich was aufregt, es dann zumindest in einen kleinen Scherz zu packen. Z.B. lebe ich ja in Bayern und ich muss irgendwie den Social-Media-Output von CSU und Freien Wählern verarbeiten. Späße mit Screenshots aus den Insta-Accounts von Markus und Hubsi wird es deshalb auch weiter bei mir geben. Ich halte das sonst nicht aus.

10. Obacht vor den Energysuckers

Ich merke mittlerweile relativ schnell, ob jemand an echtem Austausch interessiert ist oder mich nur in eine Endlosschleife sinnloser Kommunikation mit ständigem Whataboutism-Derailing verwickeln will. Accounts, die mich Energie, Zeit und Kraft kosten, schalte ich stumm, entfolge ich, werden ignoriert.

11. Sei präzise, Heiko!

Es kommt beim Gegenüber nicht immer so an, wie du es gemeint hast. Jeder Mensch hat eine unterschiedliche Ausgangslage, unterschiedliches Wissen, einen anderen Hintergrund.

Ein aktuelles Beispiel:

In dem Tweet ging es mir v.a. darum, unkritischen Autojournalismus zu kritisieren. Mein Zusatz mit den „544PS“ steht für mich eigentlich nur sinnbildlich für „ein sehr großes Auto, was unnötig Platz wegnimmt und Menschen stärker im Alltagsverkehr gefährdet“. Das muss man aber erst mal alles reininterpretieren. Und so haben sich einige sehr speziell an den Pferdestärken aufgehängt und wollten mit mir über Traktion, KW bei Elektromotoren oder Beschleunigungsverhalten und nicht das eigentliche Thema „Autojournalismus“ diskutieren. Der Tweet hätte auch ohne den Zusatz funktioniert. Nächstes mal genauer sein!

12. Immer eine Quelle!

Ich will keine Textkacheln oder Screenshots mehr ohne Quellenangabe posten.

13. Keine Reichweite für menschenverachtende Inhalte

Inhalte von BILD oder AFD teile ich nicht (mehr). Auch nicht als Screenshot.

14. Twitter ist (noch) das offenste aller Silos

Ich komme von Blogs und von RSS. Offene Standards und Unabhängigkeit von kommerziellen Anbietern finde ich nicht das Schlechteste. Vor allem, wenn es um Inhalte geht, die ich erstellt habe. Gleichzeitig ist es, wie es ist: Plattformanbieter sind convenient, die Menschen nutzen sie. Ich hab schon immer versucht, meine Inhalte irgendwie aus den Social-Media-Silos rauszuziehen und für mich zu archivieren. Das Reclaim Social-Media-Projekt von Felix ist leider eingeschlafen, auf das Fediverse werfe ich seit Jahren ein Auge, ich habe einen (ungenutzten) Account bei micro.blog und ich hab mich durch das halbe Indieweb-Wiki gelesen. Aber es hat halt bisher noch keine von den Alternativen gezündet und Plattformen wie TikTok, Instagram, Facebook oder Snapchat haben nullkommanull Interesse, ihre unsere Inhalte offen anzubieten. Was aber bis heute stabil läuft: Meine ganzen Tweets werden in meiner eigenen Tweetnest-Instanz archiviert. Twitter hat da noch nicht den Riegel vorgeschoben und Tweetnest scheint so stabil, dass es einfach immer weiter läuft (obwohl es seit 2016 nicht mehr weiterentwickelt wird).

15. Twitter ist das Leben

Vielen Menschen folge ich auf Twitter schon sehr, sehr lange. Manche davon kenne ich mittlerweile in echt, manche auch nach all den Jahren nur virtuell. Ich sehe in meiner Timeline, wie das Leben passiert. Menschen finden sich, Menschen trennen sich, Kinder werden geboren, Kinder werden groß, Berufe werden gewechselt und auch: Menschen sterben viel zu früh. Twitter ist das Leben.

Sonst noch

Insgesamt eine ganz gute Richtschnur zum Posten – nicht nur auf Twitter – sind die Regeln auf gegen-die-panik.de und fairer-teilen.de.

Mein Twitter-Jubiläum fällt fast zeitgleich auf die Twitterübernahme durch Elon Musk. Ich bin ja immer erst mal für bisschen abwarten, aber so wahrscheinlich wie jetzt war das Ableben von Twitter wahrscheinlich noch nie in den letzten 15 Jahren.

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