Schlechtabbieger

Die Schutzranzen-Initiative möchte den Schulweg für Kinder sicherer machen. Dazu sollen Kinder per GPS geortet und Autofahrer dann vor ihnen gewarnt werden.Im Werbevideo wird das System ganz gut erklärt.

Alles in allem großer Quatsch und am Ende gehts auch wieder nur um den Abschluss eines Abos.

Aber ein guter Anlass, sich über einen WIRKLICH sichereren Schulweg Gedanken zu machen. Ganz konkret. Die Kreuzung bei uns um die Ecke, die meine Kinder jeden Tag mehrmals queren müssen. Da gibt es schon eine ziemlich etablierte Warnmeldung, ganz ohne Smartphone-Push. Sie heißt Ampel.

Wenn sie grün ist, ist mit Kindern zu rechnen. Sehr, sehr viele Rechtsabbieger wissen das aber scheinbar nicht, haben es vergessen oder eilig. Folgende Situationen sind Alltag.

Situation 1

Der Rechtsabbieger wartet bis der Fußgänger auf halbem Weg ist und fährt dann schon los.

Situation 2

Von der gegenüberliegenden Seite startet ein Fußgänger, der Rechtsabbieger fährt noch schnell vor ihm rüber.

Situation 3

Der Fußgänger will loslaufen, der Rechtsabbieger gibt Vollgas um noch schnell drüber zu kommen oder übersieht den Fußgänger unbeabsichtigt.

Bei allen drei Situationen hab ich es persönlich schon mehrmals erlebt, dass mir Autos wirklich ganz knapp davor waren über die Füße zu fahren.

Und gerade bei einem Kind ist das Verhalten beim Überqueren noch erratischer als bei mir Wirrkopf. Wenn es unterwegs was verliert und sich plötzlich umdreht, auf dem Tretroller doch schneller ist, als gedacht oder einfach stehen bleibt (Kinder bleiben manchmal einfach stehen).  Außerdem sind, wo ein Kind ist, oft noch mehr Kinder, die kommen manchmal auch erst zeitverzögert. Wenn nur eins davon in Situation 1-3 passiert, dann ist die Kacke am dampfen und das macht alle Beteiligten unglücklich.

1. Regel für rechtsabbiegende Autos
Solang sich Fußgänger auf dem Überweg befinden, bleibt das Auto stehen. Und zwar an der dafür vorgesehenen Linie und nicht langsam reinrollend irgendwo auf der Hälfte des Fußgängerüberwegs. Erst wenn der Überweg komplett geräumt ist, fährt das Auto los. (und mit komplett ist gemeint, dass alle Fußgänger auf beiden Straßenseiten sicher den Bordstein erklommen haben)

2. Regel für rechtsabbiegende Autos
Wenn Fußgänger auf dem Überweg sind und die Fußgängerampel springt währenddessen auf Rot, dann hupt man sie nicht an oder drängelt. Die Grünphasen bei Fußgängerampeln sind meistens ziemlich bescheiden. Bei uns zum Beispiel nur knapp 9 Sekunden. Das reicht bei einer dreispurigen Fahrbahn gerade so zum Queren aus. Aber nur, wenn man sofort losspurtet.

Wenn also den Schulweg meiner Kinder etwas sicherer macht, dann sind das Autofahrer, die sich daran erinnern was sie in der Fahrschule gelernt haben und eine wesentlich fußgängerfreundlichere Ampelschaltung.

P.S. Am Morgen steht an der Stelle zum Glück ein freiwilliger Schulweghelfer. Für den kompletten Nachmittag wird da aber noch jemand gesucht. Interessenten können sich über die Stadt München bewerben.

P.P.S. An der Kreuzung gibt es auch noch einen Radweg. Mann kann sich vorstellen, mit welchen Risiken die Radler zu kämpfen haben.

15 Gedanken zu „Schlechtabbieger“

  1. Eigentlich ist das keine blöde App, löst das Problem aber nicht. In meinen Augen suggeriert sie auf beiden Seiten ein Sicherheitsgefühl, das vor allem trügerisch ist. Das Kind kann sich nicht darauf verlassen , dass alle AutofahrerInnen diese App haben. Und besagte AutofahrerInnen sind womöglich geneigt, wegen der App die Konzentration (unbewusst) herunterzufahren.

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  2. Es wäre ja am sichersten, wenn alle Fußgängerampeln auf einmal auf grün schalten und die Leute kreuz und quer laufen können. Aber dann müssten die Fahrzeuge etwas länger warten.

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    • Ja, sowas haben wir auf dem Firmengelände. Das ist hervorragend, und jeder weiss woran er ist.
      Und auf Drängler wird keine Rücksicht genommen. Die sind halt falsch oder schlecht sozialisiert, damit müssen sie selbst leben. Das ist wie im Leben.

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  3. Für jedes Kind eine Überwachungskamera!Letzte Woche beschäftigte sich die sehr hörenswerte Sendung Breitband u.a. mit dem Thema „Das überwachte Kind„. Einige Tage später las ich aufgrund des Blogbeitrags von Heiko Bielinski von der Schutzranzen-App. Ab und an werde ich auch von irgendwelchen Kinderüberwachungs-GPS-Tracking-Anbietern gefragt, ob ich nicht mal einen Produkttest machen möchte. Die Varianten sind vielfältig. Von der einfachen Ortung, über die Festlegung erlaubter Aufenthaltsbereiche inkl. eines Alarms sofern diese verlassen werden bishin zur Möglichkeit das Mikrofon des Kinderhandys anzuzapfen.
    Ich muss ja öfter in mich gehen, ob ich einen Test machen will oder nicht. Bei Anfragen dieser Art ist meine Haltung jedoch eindeutig: Nein, ich möchte einen solchen Test nicht machen, denn ich bin gegen die Überwachung von Kindern.
    Natürlich habe ich mit meinen Kindern schon Situationen erlebt, in denen ich gerne auf einen Knopf hätte drücken wollen, der mir sagt: Da ist das Kind, alles in Ordnung.
    Erst neulich war eines der Kinder sage und schreibe drei Stunden später Zuhause als verabredet. Nach 30 Minuten wurde ich nervös. Nach einer Stunde habe ich andere Eltern angerufen, dann die Schule und dann den letzten Aufenthaltsort (die Kinder hatten eine Exkursion gemacht). Ich war kurz davor die Polizei zu alarmieren, als das Kind sorglos mit drei Freundinnen durch die Tür schritt: „Achso. Ich wusste nicht, dass Du wartest. Wir waren noch unterwegs.“
    Ich hab mich bemüht mit ruhiger Stimme zu sagen, dass ich in großer Sorge war, worauf die Freundinnen ihre Handys zückten (natürlich hatten alle Kinder Handys, natürlich hatte ich diverse Nummern angerufen, natürlich war keines der Kinder rangegangen, ja, ja diese Jugend. Von wegen schaut immer aufs Telefon!) und sagten: „Apropos. Wir rufen mal kurz zu Hause an.“
    Wie gesagt, ähnliche Situationen gab es vorher in Varianten aller Art. Dennoch würde ich mein Kind nie mit einem GPS-Tracker ausstatten.
    Natürlich wäre so ein Ding im absoluten Worst Case [1] eine Hilfe – aber die Wahrscheinlichkeit, dass selbiger eintritt ist, so hoffe ich, so verschwindend gering, dass ich diese nicht gegen das Recht auf Privatsphäre [2], die das Kind eben auch hat, eintauschen würde.
    Ich bin ja selten gegen Technik, aber an dieser Stelle kommt der Kulturpessimist in mir hervor.
    Nicht nur in Bezug darauf welche tatsächlichen Auswirkungen eine entsprechende Überwachung haben könnte (die aktuelle Staffel Black Mirror – Arkangel illustriert das ganz gut), sondern auch, weil ich glaube, dass die Kinder eine Reihe von Kompetenzen nicht erwerben, wenn sie sich auf GPS-Ortung verlassen.
    [youtube https://www.youtube.com/watch?v=yef_HfQoBd8%5D
    Wir üben z.B. Orientierung. Bewusst wahrnehmen, wo man aussteigt, sich umschauen, welche Orientierungspunkte es gibt und sich Marker aussuchen. Hier geradeaus, da kommt man an einem Hochhaus vorbei, hier bei der S-Bahn-Brücke links abbiegen etc.. Auch mal umdrehen und die Gegend vom Rückweg her anschauen. Sich merken, welche U-Bahn-Stationen in der Nähe sind. Auf Schilder achten.
    Telefonnummern auswendig lernen. Uhrzeit lesen lernen und Zeit im Blick behalten. Besprechen, wie man im Notfall welche Leute anspricht. Besprechen, wie man reagiert, wenn andere einen ansprechen. Immer einen Notgroschen dabei haben.
    Ganz am Ende geht es für mich außerdem um die Vertrauensbeziehung. Ich möchte gerne, dass meine Kinder sich frei bewegen können, dass sie mir aber offen und ehrlich sagen, wo sie hingehen wollen. Für mich ist es gar nicht schlimm, wenn man mal was falsch macht, eine fragwürdige Entscheidung trifft oder sich ausprobiert. Mir ist es aber sehr, sehr wichtig, dass man ehrlich ist.
    Das spielt für mich alles in das Thema Kinderüberwachung rein.
    Es sind also diese beiden wesentlichen Aspekte für mich: Das Kind aufklären, es kompetent machen, ihm möglichst viel Situationen und deren Lösung schildern oder Konsequenzen bestimmter Verhaltensweisen erläutern und auf der anderen Seite schnöde: Vertrauen schenken und hoffen, dass dieses nicht missbraucht wird.
    (Und am Ende hoffe ich v.a. dass ich entspannt bin und nicht leichtsinnig.)
    P.S. Kleiner Exkurs: Das gilt übrigens auch in Bezug auf die Online-Welt. Ich bin immer völlig entgeistert, wenn ich höre mit welcher Selbstverständlichkeit z.B. Browserverläufe bei Kindern kontrolliert werden. Auch hier setze ich auf eine Mischung aus Aufklärung und Vertrauen.
    P.P.S. Die Schutzranzen-App finde ich nicht nur doof, sondern sogar gefährlich, weil sie die Verantwortung verschiebt. Es gibt schließlich Ampeln und Autofahrer haben Augen. Das ist völlig ausreichend. Lieber die Ampeln mit einer Art CAR-B-Gone (analog zum TV-B-Gone) ausstatten, die sicherstellt, dass Autos nicht fahren können, solange die Fußgängerampel grün ist. Dann müssen sie eben geduldig sein.
    [1] Der Breitband-Beitrag spricht von in den letzten 10 Jahren konstant gebliebenen 2.000 Kindesentziehungen pro Jahr in Deutschland, wovon aber ein Großteil durch das eigene Umfeld erfolgt.
    [2] 16% aller Teenager werden in den USA per GPS überwacht

    Ergänzung zum Schutzranzen: „Ich warne mit Nachdruck davor, sich trügerischen Sicherheiten im Tausch von Daten hinzugeben. Wenn Kinder allein im Straßenverkehr unterwegs sind, bleibt immer ein Restrisiko. Aufgabe der Eltern ist aber nicht, stets zu wissen, wo ihr Kind ist, sondern es fit für den Straßenverkehr zu machen. Dazu gehört, den Schulweg gemeinsam abzugehen, kritische Punkte zu erörtern und Regeln zu vermitteln. Auch in der Schule werden solche Basisregeln vermittelt.“
    Zitat Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)

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  4. „die sich daran erinnern was sie in der Fahrschule gelernt haben“
    „Solang sich Fußgänger auf dem Überweg befinden, bleibt das Auto stehen. Und zwar an der dafür vorgesehenen Linie“

    Das habe ich definitiv NICHT in der Fahrschule gelernt. Solange die Kreuzung frei ist, fahre ich bei grün ein und warte dann auf querenden Verkehr. Anders würde die Abbiegerspur nämlich nie leer. Der Rest ist richtig, vor allem die langsam anrollenden Abbieger kann ich auf den Tod nicht leiden. Vor einem bin ich schon mal demonstrativ auf dem Überweg stehen geblieben, kann man als Erwachsener ruhig mal machen.

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    • > Solange die Kreuzung frei ist, fahre ich bei grün ein und warte dann auf
      > querenden Verkehr.
      In den drei Beispielen ist die Kreuzung ja nicht frei. Fußgängerverkehr quert.

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      • Stimmt, man darf in eine Kreuzung erst dann einfahren, wenn man sie auch sicher wieder verlassen kann. Wenn zum Beispiel aufgrund eines Wandertages der Fußgängerüberweg nicht innerhalb der Grünphase des Autos wieder frei wird, dann hat das Auto auf der Kreuzung schlicht nichts zu suchen.
        Da hält sich aber auch bei Stockungen durch Autoverkehr kaum jemand dran. Weswegen es in manchen Ecken im Berufsverkehr regelmäßig zum Kollaps kommt.

        Man muss aber auch dazu sagen, dass aus Sicht des Autofahrers die Fußgänger an manchen Kreuzungen erst zu sehen sind, wenn man schon auf der Kreuzung ist.

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  5. Gut gemeinte App mit einem Konzept, das nicht zuende gedacht wurde. Der negative Lerneffekt. Spinnen wir den Werbespot weiter.

    Das Video zeigt, dass Jan ohne schlechtes Gewissen, seine Pflichten als Autofahrer verletzen darf, indem er während der Fahrt mal kurz aufs Handy schaut – es gibt ja die Schutzapp (wenn auch nur für Android und Apple).

    Am Donnerstag war es in der Firma so stressig, dass Jan vergessen hat, sein Smartphone zum Laden anzuschließen. Als er es am Freitag während der Fahrt bemerkt, als er kurz drauf schaut, ist es bereits zu spät … das Kind hatte keine Chance.

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