8. März, Internationaler Frauentag
Das erste Mal ist er mir 2001 begegnet. Ich arbeite in einem Unternehmen, das viele MitarbeiterInnen hat, die aus Ost-Berlin kommen. Mir wird eine Rose überreicht und die Hand geschüttelt.
Crazy.
2001 finde ich es süß einfach so eine Rose zu bekommen. Wie aufmerksam!
Fünfzehn Jahre später: aus einem mir unbekannten Gedenktag ist der Frauenkampftag geworden.
An der U-Bahn-Haltestelle verteilen Menschen eine farblich passenden Partei rote Rosen an Passantinnen. Die meisten springen erschreckt beiseite. „Alles Gute zum Frauentag! Ich habe hier eine Rose für sie!“
V.a. die jüngeren Frauen machen einen großen Bogen um die Rosen. Mein 2001er-Ich wäre auch kopfschüttelnd weitergelaufen.
Ich hatte es gut da. Keine Probleme. Ich war ungebunden, qualifiziert und eigentlich habe ich nichts anderes gemacht als von morgens bis spät abends zu arbeiten. Nie wäre ich auf die Idee gekommen vor 17 Uhr nach Hause zu gehen. Meetings, die um 16 Uhr starten? Was ist das Problem?
Dass mein Kollege mehr Geld für die gleiche Arbeit bekommt, war mir nicht klar. Dass meine Vorgesetzten, dass eigentlich fast ALLE Vorgesetzten des Unternehmens männlich waren: normal
Ich habe auf mein Gewicht geachtet, regelmäßig Diäten gemacht und fand Frauen, die ihre Beine nicht täglich rasieren furchtbar (hatten die überhaupt noch Sex??)! Ich hab sogar Germanys Next Top Model geschaut.
Mehr als ein Jahrzehnt, ein paar Kinder und eine gescheiterte Ehe später, habe ich meine Sicht auf die Dinge geändert.
Feministin. Einundvierzig Jahre musste ich werden, um das Wort Feministin nicht mehr leicht schamhaft auszusprechen.
Ich lese gerade ein Buch (Sungs Laden), in dem steht, in einem völlig anderen Kontext sinngemäß:
„Das Leben forderte nicht mehr viel, vielleicht war es jetzt an der Zeit dem Leben etwas abzufordern.“
Daran musste ich denken. Vielleicht kann man sich als etwas über 20jährige kaum leisten, etwas zu fordern. Neu im Job, kaum Berufserfahrung, geringes Einkommen. Vielleicht ist das viel riskanter etwas zu fordern als es das mit 40 ist.
Mittlerweile wünsche ich mir, dass alle Feministin sind – auch die Männer. Ich sehe sie als Verbündete. Einem Mann kann doch auch nichts daran liegen eine völlig erschöpfte Frau an seiner Seite zu haben, seine Kinder nicht versorgen zu können, ja ich glaube sogar, die meisten hätten nicht dagegen, wenn die Kollegin genauso viel verdient und wenn man(n) einfach zur Chefin gehen kann und sagt: „Ich würde gerne 7 Monate Elternzeit machen“ und die Chefin antwortet: „Das freut mich aber. Da müssen wir bald mal über eine Verteilung ihrer Aufgaben sprechen, aber das bekommen wir hin!“
Mir persönlich fällt das Motto des Frauenkampftags #MeinTagohnemich schwer. Streiken sollen die Frauen, sie sollen sich eine Welt ausmalen, in der die Frauen fehlen.
Auf den Seiten des feministischen Netzwerks lese ich:

Erzähl uns deine Geschichte. Deine persönliche Dystopie (oder auch Utopie) vom Tag ohne dich. Was passiert denn eigentlich, wenn du einfach mal 24 Stunden nichts machst? Wer übernimmt die Care-Arbeit, was passiert mit deiner Lohnarbeit und wofür würdest du die Zeit endlich mal nutzen?

Ich verstehe die Idee, aber wenn ich ehrlich bin, in meinem Leben würde derzeit folgendes passieren: nichts
Mein Partner ist nämlich in alle Prozesse eingebunden. Vielleicht würde er einige Dinge anders machen als ich, aber die Kinder kämen mit Pausenbrot pünktlich in die Schule, sie bekämen Abendbrot, Schultasche wäre ausgeräumt, die Zettel bearbeitet, die Termine in den Kalender übertragen, die Hausaufgaben gemacht, die Zähne geputzt, die Einschlafgeschichte vorgelesen.
Irgendwie fühle ich mich schlecht, dass ich bei #MeinTagohnemich nicht mitmachen kann, wenigstens trage ich an diesem Tag als Zeichen meiner Solidarität rot.
Auf dem Weg in die Arbeit schaue ich die anderen Frauen an. Kein Rot, keine Pussy Hats. Ich bin ein bisschen enttäuscht.
Ich bin fest entschlossen mich allerorten als Feministin zu outen. Mir ist klar, dass ich damit einige erschrecken werde, wie ich mich 2002 erschreckt habe, wenn mir zugetragen wurde „Die Anna ist Feministin.“
Huuu! Ohhhh! Feministin!
Am Wort kleben weiterhin Humorlosigkeit und Beinhaare.
Vielleicht hilft das Outing am Ende aber. Vielleicht wissen andere Frauen damit, dass sie auf mich als ihre Verbündete an ihrer Seite zählen können. Ich hoffe es.
Während ich in der Tram sitze, gruselt es mich. Bedeutet #MeinTagohnemich bei vielen Familien immer noch, dass alles still steht? Dass es kein Essen gibt, dass nicht vorgelesen und gekuschelt wird, dass die Kinder die Strumpfhose statt einer Mütze am Kopf tragen?
Was passiert, wenn #MeinTagohnemich auf #MeineWocheohnemich ausgedehnt wird?
Was wenn es #MeinMonatohnemich wird?
Wie gesagt, ich glaube, so richtig viel würde bei mir nicht passieren. Aber schaue ich in Familien meiner Freundinnen oder Bekannten… so ein Ausfall der Frauen hätte doch ganz schöne Auswirkungen. Es gibt noch genug Kommentare der Art: „Haha, mein Mann kann nicht kochen!“ und „Nachts stehe nur ich auf. Mein Mann braucht den Schlaf.“
Deswegen bleibe ich Feministin – denn ich möchte, dass wir irgendwann austauschbar sind (sind wir als geliebte Individuen Mamas und Papas nicht – aber in unseren Verantwortlichkeiten hoffentlich doch). Dass Frau gegen Mann getauscht werden kann, Mann gegen Frau, Frau gegen Frau und Mann gegen Mann.
Alles ist geteilt, das selbe Geld ist im selben Job verdient, der selbe wichtige Vortrag in der Öffentlichkeit gehalten, die Kinder schreien genauso oft MAAAAAmmmaaa! wie sie Paaaaapaaaa! schreien.
Und so lange das nicht für alle erreicht ist, nehme ich gerne die Blume, sage auch wohlerzogen Danke, wünsche mir aber weiterhin: gleiche Chancen, gleiche Bezahlung, gleiche Arbeitsteilung und gleiche Rechte.

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— katjaberlin (@katjaberlin) March 8, 2017

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und v.a. vergesse nicht die Lebensumstände anderer Frauen und möchte auf den Artikel von Rike Drust verweisen:

Trotzdem bin ich jeden Tag schockiert, wütend, traurig und fassungslos über Videos, Tweets, Posts und Nachrichten von Pussy GrabbernVergewaltigungen (bei denen die Täter, wenn sie weiss sind und gut schwimmen können, mit einem kleinen Dududu davonkommen)Gender Pay oder Gender Care GapsSechsjährigen Mädchen, die schon verinnerlicht haben, dass Jungs angeblich klüger sind.  Von Revenge PornHate Speech. Ich möchte vor Wut meine Faust aufessen, wenn ich lese, mit was für einem Scheiss sich viele alleinerziehende Mütter (und ein paar Väter) herumschlagen müssen, wofür sie sich gerade machen, obwohl sie weder Geld noch Zeit haben und sich dafür noch in der alleruntersten Schublade beleidigen und bedrohen lassen müssen. In die Finger beissen tu ich, wenn ich Eltern höre, die ihren Kindern sagen, sie sollen nicht weinen „wie ein Mädchen“ oder Kinder, die meinem Sohn sagen, dass pink eine Mädchenfarbe ist. Ich könnte ewig so weitermachen. Aber es soll ja nicht ewig so weitergehen.

Aber auch diese Lebensbedingungen und Erfahungen, die nicht in Prozent ausdrückbar schlimmer sind als meine Lebensumstände, lasse ich nicht als Argument gelten für meine Rechte einzustehen übrigens.
Das „Was beschwerst du dich, dir geht es doch gut“-Argument bedeutet Stillstand. Stillstand ist nicht was ich möchte. Aber wie Rike oben sagt:
Es soll ja nicht ewig so weitergehen.
Deswegen: so lange wir die selben Ziele haben, lasst uns Seite an Seite stehen. Egal, ob man sich nun Feministin nennen möchte oder nicht. Egal welchem Feminismus man sich zugehörig findet (z.B. dem 2012er).
Sonja von Mama Notes schreibt so passend:

Es geht nicht um Dich. Es geht um die alle Frauen, die noch nicht so gleichberechtigt leben können, wie Du. Es geht nicht um Deine individuelle Situation, nicht um Deine Filterbubble. Sondern es geht darum, gemeinsam solidarisch zu sein.

Das möchte ich auch und zwar nicht nur am 8. März.