Manche Abzweigungen im Leben sind wichtiger als andere.
Ich hab z.B. mal die Abzweigung hin zu hennarot gefärbten, schulterlangen Haaren genommen und dann bald gemerkt, dass ich schleunigst wieder umdrehen sollte. Das war zum Glück nur ein mal im Kreisverkehr rundrum und dann schnell wieder raus.
Andere Abzweigungen führen sehr lange in die richtige Richtung. Man merkt es aber oft erst sehr viel später, weil man auf dem Weg gar keine Zeit hat, darüber nachzudenken.
Das da oben ist die Agentur für Arbeit in Schwäbisch Hall. Eine meiner Abzweigungen.
Da bin ich irgendwann 1994 die Treppen hochgelaufen und hab der Beraterin im Berufsinformationszentrum (BIZ) gesagt, dass ich eventuell unter Umständen falls möglich irgendwas mit Journalismus machen möchte, muss aber auch nicht sein, falls das schwierig ist und Umstände macht. Sie meinte dann, das sei eher nix für mich, weil man da Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein brauche. Und das sah sie nach meiner eher defensiv formulierten Einleitung bei mir wohl nicht.
Sie hat mir dann drei gelbe Ordner in die Hand gedrückt. In einem davon stand was über den Studiengang „Dokumentationswesen“. Genau das richtige für jemand, der mit wenig Selbstbewusstsein Journalist werden will. Bei den Journalisten im Keller sitzen und Archiv machen. (ich weiß, es ist viel mehr, meine dokumentarischen Freunde!)
Hab ich das also studiert. An einer Fachhochschule, an der nicht nur Dokumentationswesen, sondern auch Bibliothekswesen studieren. Was für ein Glück.
Weil, ich sag mal so: wenn ihr eher schüchtern und zurückhaltend bezüglich Partnerschaftsanbahnung seid: eine Hochschule mit 90%-Frauenanteil ist da perfekt. Da kommt man gar nicht drumrum mit Frauen zu sprechen. Da trainiert man das quasi jeden Tag. Bis man es ganz gut hinbekommt und dann ist man plötzlich 25 Jahre mit einer Bibliothekarin zusammen und hat zwei gar nicht mehr so kleine Kinder.
Außerdem schließt man auf und im Umfeld so einer Bibliothekshochschule noch viele andere Freundschaften. Freundschaften, die auch nach 25 Jahren noch da sind und mit denen man sich mindestens einmal im Jahr trifft, um zusammen in einer Sauna zu sitzen und sich gegenseitig zu versichern, dass man auch nicht jünger wird. (Dafür gibt es keinen besseren und bestätigenderen Raum als eine Sauna)
Das ist immer an anderen Orten und dieses Wochenende ist es eben in: Schwäbisch Hall.
500 Meter von dem Arbeitsamt (damals hieß das noch so) entfernt, in dem ich 1994 eine Abzweigung genommen hab, ohne die ich jetzt nicht mit den Jungs hier in dieser Sauna sitzen würde.
Die Jungs, die mich am Bahnhof mit dem Auto abholen und im Fußraum erst mal fränkisches Bier und Bratwurst für mich dabei haben.
Die Jungs, die diese Statue im Wellnesshotel genauso weird und lustig finden wie ich.
Und die Jungs, die hier als erstes selbstverständlich auch den Dönerspieß des Bischofs sehen. Und nichts anderes.
Im studierten Beruf hab ich nie gearbeitet, aber die Abzweigung war goldrichtig.
@heibie Nautischer Schiffsoffizier hatte der Computer im BIZ mit empfohlen
@xgeuariog weil du als Lieblingsserie „Das Boot“ angegeben hast. Logisch!
Darf ich fragen, wo genau Du studiert hast?
Klingt so nach FHBD in Köln. Dort hatte ich mich seinerzeit um einen Studienplatz beworben und habe dann bei der FH Köln studiert, nachdem die FHBD darin aufgegangen ist.
bei mir wars Stuttgart. Damals noch HBI
Das war schön zu lesen!
Gestern habe ich übrigens von dem balkanischen Gericht Kokorec erfahren. Vor diesem Hintergrund kann ich sagen, dass das auf dem Bischofsspieß eindeutig Kokorec ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kokore%C3%A7
sehr gut;-)