in Tagebuch

Mein 2020

Für 2020 hatte ich einen ziemlich genauen Plan. Der ging so: Zu Anfang Januar meinen Job kündigen, dann bis April ein Buch schreiben. Dann im neuen Job anfangen. Vertrag dafür war zwar noch nicht unterschrieben, aber eine vertrauensvolle, mündliche Zusage gegeben. Im Oktober dann Buchveröffentlichung. Was sollte da schon schief gehen?

Aber der Reihe nach. Erst mal läuft ja alles wie erwartet. Ich setze mich fast jeden Tag in die Stadtbibliothek am Gasteig – ein guter Ort – und schreibe ein paar Seiten am Buch. Zwischendurch bleibt aber auch noch genug Zeit für …

… alleine Wandern (liebe meine Familie, aber ab und zu alleine Wandern ist ne feine Sache) …

Konzerte

Danger Dan mit Antilopen Gang in der Muffathalle
Danger Dan mit Antilopen Gang in der Muffathalle
Trail of Dead schwitzen das Strom voll
Trail of Dead schwitzen das Strom voll

… und Stammtisch (wer ist dieser Belinsky?)

Beim Stammtisch im Februar reden wir dann das erste mal über das C-Wort. Bin mir da aber noch unsicher, ob sich das durchsetzen wird. Was wir beim Stammtisch schon für Themen beredet haben, von denen man später nix mehr gehört hat! Mein erster Corona-Tweet dann ein paar Tage später. Ich traue dem Braten noch nicht so ganz.

Es geht dann aber doch recht schnell. Ich fange an den Drosten-Podcast zu hören…

… kapiere dadurch langsam, was das für eine riesige Scheiße werden wird …

… und schreibe einen monothematischen Newsletter.

Zwischendurch noch ein prophetisches Scherzchen …

Am 12. März geh ich noch mal alleine Wandern. Die Zugfahrt zum Spitzingsee ist noch normal, beim Umsteigen in den Wanderbus ist dann plötzlich der Einstiegsbereich vorne beim Busfahrer mit Absperrband blockiert. Einstieg nur hinten. Mein geplanter Wanderweg ist wegen Schnee gesperrt und ich gehe einfach mal auf gut Glück den Berg hoch, verlaufe mich auf einer Skipiste knietief im Schnee und komme zum Glück irgendwann etwas fertig auf einer einsamen Skihütte raus. In alter Tradition werden Selfies nur gepostet, wenn ich mich irgendwo im Schnee verlaufen habe und total erschöpft bin.

Am 13. März wird die Schulschließung beschlossen …

… und ich gehe noch mal Comics in der Stadtbibliothek hamstern …

Am 21. März fährt die Feuerwehr mit Lautsprecherdurchsage durch unser Viertel. Wir sollten doch bitte zu Hause bleiben.

Und im Supermarkt tauchen die ersten Abstandsmarkierungen auf.

Wir sitzen ab jetzt alle zusammen zu Hause rum und kommen klar …

… digitale Distanz-Schule läuft mal gut …

… ganz oft aber auch nicht so …

Die Stadt leert sich. Ich fange an meine Laufrunden auf die verwaisten Straßen zu verlegen und jogge mit Abstand.

Dabei lerne ich wirklich neue, nette Ecken kennen, z.B. ein Ende von München.

Die Zeit bis zum Sommer ist dann für mich das, wofür das Wort ambivalent erfunden wurde. Ich verbringe einerseits sehr viel Zeit in unserer Hängematte auf dem Balkon (Hashtag #wirbleibenzuhause).

Homeschooling. Das letzte Fach vor den Osterferien ist Hänge-Mathe. Glatte 1.
Homeschooling. Das letzte Fach vor den Osterferien ist Hänge-Mathe. Glatte 1.

Andererseits waren da ja noch meine Pläne für das Jahr. Das mit dem Buch geht zum Glück weiter, der Veröffentlichungstermin verschiebt sich aber coronabedingt auf März 2021. Ganz ok, weil dann kann ich noch ein bisschen aktuelles Coronazeug mit reinschreiben. Aber das mit dem Arbeitsvertrag ist dann plötzlich doch nicht mehr ganz so sicher.

Das muss man auch erst mal hinbekommen: feste Stelle pünktlich zum Beginn einer weltweiten Pandemie freiwillig kündigen ohne unterschriebenen, neuen Vertrag. Es liegen jedenfalls allerorten Budgetkürzungen in der Luft. Nicht so gut für noch-nicht-unterschriebene Arbeitsverträge.

Meine neuen Kolleginnen (ich lass das mal im generischen Femininum, weil mein neues Team zu 95% aus Frauen besteht, Männer mitgemeint) setzen sich aber so toll ein, bleiben dran, und schließlich sitze ich im Juni mit unterzeichnetem Vertrag an der Isar (nein, das ist nicht mein Büro).

Exkurs: 2020 erscheint das Buch „Raus aus der Mental Load Falle“ von Patricia Cammarata. Am Buchende, ab Seite 197, habe ich Patricia ein paar Fragen zu unserer (also der von meiner Frau und mir, nicht von Patricia und mir) partnerschaftlichen Arbeitsteilung beantwortet und der Satz „Dass wir beide ungefähr gleich viel zur Haushaltskasse beisteuern, nimmt mir einen enormen Druck“ hat sich lustigerweise kurz nach Erscheinen des Buches noch mal eindrucksvoll bestätigt. Exkursende.

Der Sommer kommt, das Virus bleibt, aber es ist nicht mehr ganz so präsent. Wir machen eine Woche Urlaub in Meran (ohne Auto). Das ist richtig schön.

Am Ende der Sommerferien besuche ich das einzigste mal dieses Jahr meine Eltern. Ich bringe die Kinder hin und fahre danach drei Tage lang alleine mit dem Rad von Hohenlohe nach München. Es gibt ja mittlerweile deutschlandweit für alle möglichen Verbindungen und Flüsse ausgeschilderte Radwege. Den „Radweg Hohenlohe – München“ gab es bis 2020 noch nicht (hab ich extra gegoogelt). Es braucht für Neues also immer eine*n Mutige*n, der/die es zum ersten mal ausprobiert. Die Route ist zu großen Teilen wirklich sehr schön und einsam. Hier ist das Ding!

Bin mir natürlich voll bewusst, dass rennradfahrende Männer in den Vierzigern quasi gelebtes Klischee sind. Aber es hilft nix. Ich hab bis vor zwei Jahren gedacht, ich sei zu fett für so ein filigranes Rennrad. Zum Glück hat mich mein Freund Manni eines Besseren belehrt und jetzt muss ich das halt ausleben. Und ihr aushalten. Bitte seid nachsichtig mit uns Mamils.

Nach den Sommerferien fahre ich zum ersten mal seit Anfang des Jahres wieder in ein richtiges Büro. Zum Arbeiten. Das macht Spaß. Tolles, neues Team. Und obwohl es ziemlich schnell wieder in Schichtbetrieb und Homeoffice übergeht – ein wirklich guter Start. Einen neuen Job mitten in einer Pandemie anzufangen ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. Man hat ja am Anfang ca. 1000 Fragen. Viele davon würde man normalerweise vor Ort, zwischen Tür und Schreibtisch schnell klären. Das geht im Schichtbetrieb nur bedingt. Aber trotz der ganzen widrigen Umstände haben mir die Kolleginnen wirklich einen Spitzen-Start ermöglicht. Willkommensgefühl vermitteln geht auch über Videokonferenzen.

Den Rest des Jahres verbringen wir ziemlich statisch im nahen Wohnumfeld. Zwei mal besuchen wir noch kurz die Berge.

Weihnachten und Silvester zu Hause. Keine besonderen Vorkommnisse.

Das ganze Jahr über war viel Zeit für Filme und Serien. Und je älter die Kinder werden, je mehr kann man gemeinsam Inhalte schauen, die man auch ohne Kinder schauen würde. Unsere Familienfavoriten 2020. Erst mal die Serien:

The Mandalorian ist ein kleines Meisterwerk in Serie. Wenn ihr nur ein bisschen was für das Star Wars-Universum übrig habt (und vom letzten Film enttäuscht wart) – hier kommt die Wiedergutmachung! Alle hier lieben das. Jeder Veröffentlichungsfreitag Pflichttermin im Familienkalender.

Deutsche Krimiserie klingt jetzt erst mal nicht so verlockend und originell. Aber Mord mit Aussicht ist ein bisschen anders. Verschrobener, witziger, liebenswerter. Komplett durchgeschaut.

Wir Eltern hatten Modern Family irgendwann mal bei Staffel 4 abgebrochen. Jetzt hat sich rausgestellt, dass die Kinder das mittlerweile auch witzig finden und wir haben 2020 von Staffel 1 bis Staffel 6 durchgeguckt.

Eine kleine Miniserie in der Tradition von Monaco Franze ist Der Beischläfer . Viel München-Lokalcholorit (sagt man noch). Schnell weggeschaut an zwei Abenden.

Bei Filmen geht es, neben gesetzter Familienunterhaltung von Pixar, mittlerweile gerne hin zu Action (Mission Impossible, Marvel Cinematic Universe, Zurück in die Zukunft), Abenteuer (Indiana Jones), Krimi (Mord im Orient Express, Knives Out), Heist (Die Unfassbaren, Oceans-Reihe, The Italian Job) und Geheimagenten (James Bond-Reihe). Man kann dadurch ein paar Klassiker auffrischen, aber auch viel Aktuelles schauen.

Gerade bei alten Filmen merkt man dann, wie schlecht die gealtert sind. Es heisst also: Spaß an den Stunts von Jackie Chan bewahren und gleichzeitig die frauen- und schwulenfeindlichen Witze von Chris Tucker thematisieren (Rush Hour 1-3), staunen über die Geheimagentengimmicks von Q und gleichzeitig Witze machen über das verstaubte Frauenbild in der James-Bond-Welt (bis weit in die 1990er Jahre).

Meine Lieblingssongs des Jahres sind noch mal willenloser, als die letzten Jahre. Weil die Tochter sich zunehmend für zetigenössische Popmusik interessiert und ich da ab und zu (ungewollt) dran Teil habe, geht es also von Touché Amoré über AC/DC (vgl. Mamil) bis rüber zu Ava Max und Motrip. 🤷‍♂️

Mein Wunsch für 2021 steht auf dem Schild über dem Eingang des Münchner Clubs Strom, auf dem am 17.2.2020 noch … and you will know us by the Trail of Dead für ein schwitziges, dicht gedrängtes Konzert angekündigt wurden. Impfstoff für alle!

… ganz viele Konzerte …

… und die pragmatisch, optimistische Ambiguität, die meine ehemalige Chefin Vera in Ihrem Brief an ihr Corona-Kind Holly zum Ausdruck bringt. Das wird schon, Leute!

Alle älteren Jahresrückblicke finden sich im Archiv.

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