Als im März 2020 die Schulen schlossen und das Land in den ersten Lockdown ging, war mein erster Gedanke: Vielleicht wäre ein eigenes Auto jetzt doch nicht so schlecht? Das Feld der Pandemie war mir doch recht fremd und wo wenn nicht in einem eigenen Auto ist man denn bitte besser vor einer Ansteckung geschützt!? (natürlich zu Hause, das wissen wir mittlerweile) Dann ist ja aber erst mal über zwei Monate nichts passiert. Also quasi Nullmobilität. Gleichzeitig gab es immer wieder neue Erkenntnisse über Ansteckungswege und ein Auto haben wir dann doch nicht gekauft.
Wir waren auf einmal drastisch weniger unterwegs. Unsere zurückgelegten Kilometer haben sich im Vergleich zu den Jahren davor halbiert.
In der Jahresübersicht sieht man an den Monatsbalken eindeutig die Lockdowns und den relativ lockeren Sommer mit einer Woche Urlaub in Meran und einer, mit dem Zug gestarteten, Radtour. Noch ein paar kleinere Ausflüge, ansonsten spielte sich der Rest des Lebens im nahen Wohnumfeld ab. Keine Familienbesuche an Ostern und Weihnachten.
Seit wir unser Auto verkauft haben, rechne ich jährlich immer unsere Mobilitätskosten, die wir mit dem Mix aus Car-Sharing, Bahn und anderen Verkehrsmitteln hatten gegen die Kosten, die unser letzter Familienkombi verursacht hat. So ein bisschen als Absicherung, dass der Verkauf auch finanziell eine gute Entscheidung war. Die Rechnung für den Kombi kann dabei natürlich nur theoretisch sein, weil wir das Auto ja nicht mehr besitzen. Sie basiert auf den letzten Zahlen vor dem Verkauf. Der ADAC bietet einen sehr ausführlichen Online-Rechner, mit dem man diese Kosten für viele gängige Automodelle ebenfalls durchrechnen kann.
Die jährlichen Fixkosten für unser eigenes Auto sähen hypothetisch also so aus:
Das sind nur die fixen Kosten, die das Auto verursacht ohne dass es bewegt wird. Die Benzinkosten sind die flexiblen Kosten. Sie hängen von den zurückgelegte Kilometern ab.
Aus beiden Kostenblöcken errechnet sich für unsere Mobilität ein theoretischer Kilometerpreis für unser theoretisches, eigenes Auto. Der Preis variiert dabei nach Anzahl der gefahrenen Kilometer. Je mehr Kilometer man fährt desto günstiger wird der Kilometerpreis. Fährt man weniger, steigt der Kilometerpreis, weil der Anteil der kilomterunabhängigen Fixkosten höher ist, als die Benzinkosten. Die Corona-Mobilitätsbremse macht diesen Effekt gut sichtbar. 2017 sind wir doppelt so viel unterwegs gewesen wie 2020. Der Kilometerpreis verdoppelt sich dadurch auch.
Der genauere Blick auf die Lockdownmonate März – Mai 2020 zeigt unsere Einsparungen. Anfang März gab es noch eine längere Fahrt, April und Mai waren wir nur zu Hause. Der Lockdown mit seiner Nullmobilität zeigt, dass ein eigenes Auto bei uns komplett ungenutzt rumgestanden und trotzdem monatlich Fixkosten verursacht hätte. Ohne das eigene Auto konnten wir unsere Mobilitötskosten von einem Tag auf den anderen einfach komplett runterfahren.
Hochgerechnet auf das ganze Jahr wird daraus ein ansehnlicher Sparbetrag.
Soweit die reinen Zahlen. Aber wie sieht es mit dem Ansteckungsrisiko bei geteilter Mobilität aus?
In unserem nahen Umfeld haben wir auch schon vor der Pandemie die meisten Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. ÖPNV nutzen wir eher selten.
Im ÖPNV und bei der Bahn ist das Ansteckungsrisiko mit Sicherheit gegeben. Die Bahn hat zwar zuletzt ihre Corona-Schutzmaßnahmen verstärkt und weist in Studien darauf hin, dass das Ansteckungsgrisiko eher gering sei, aber es bleibt dabei, dass bei der Studienlage noch deutlich Luft nach oben ist und sehr genau hingeschaut werden muss.
Für den Bereich Car-Sharing konnte ich bisher noch gar keine Studie finden. Der Bundesverband Car-Sharing e.V. gibt aber konkrete Tipps, wie sich das Infektionsrisiko minimieren lässt. In der Praxis war es bei unseren Leihvorgängen dieses Jahr so, dass das Auto vor Leihbeginn die ganze Nacht in der Tiefgarage stand. Lüften und desinfizieren hilft dann Schmierinfektionen und Aerosole zu vermeiden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass genau die Person, die vor einem das Auto genutzt hat, corona-positiv ist, steigt natürlich vor allem mit der konkreten Inzidenz vor Ort.
Für uns hat sich daraus 2020 automatisch eine inzidenz-skalierte Mobilität ergeben. Als die Werte sehr weit unten waren, haben wir (mit gutem Gefühl und Maske) den Zug nach Meran genommen. Als die Werte im Herbst anstiegen, haben wir das Car-Sharing-Auto für ein paar Ausflüge genutzt. Und wenn der Bewegungsradius demnächst auf 15 Kilometer eingeschränkt wird, sind wir sowieso wieder bei der Nullmobilität von April/Mai 2020 und brauchen gar kein Fahrzeug mehr.
Insgesamt bleibt bei geteilter Mobilität natürlich ein Restrisiko. Aber da sich die Mobilität durch die gesellschaftlichen Einschränkungen sowieso automatisch verringert und wir gleichzeitig mit zur Schule gehenden Kindern, Kollegen im Büro oder Supermarkeinkäufen auch an anderer Stelle teilweise deutlich größeren Risiken ausgesetzt sind, ist es für uns ein vertretbares Risiko.
Immer sehr interessant, danke.
Hatte auch mal überlegt, unsere eigene Mobilität zu protokollieren, aber das ist zu öde. 4-5 Fernreisen per Zug, 10x U-Bahn, das war’s. Rest per Fahrrad. Dieses Jahr habe ich zweimal ein Auto (Transporter) geliehen, das war ein Zehn-Jahres-Hoch.
Seit vielen Jahren notiere ich die Kontobewegungen in einer Exelliste, mit Spalten wie Wohnkosten, Spenden (praktisch bei der Steuererklärung), Barabhebungen und täglichen Bedarf und „Mobilität und Telekommunikation“, Die bar bezahlte Luftpumpe buche ich aus Spalte bar in Spalte Mobilität um, so hab ich einen guten Überblick über die Kosten. Keine Ahnung, wie viel km das sind. Carsharing brauch ich bloß alle paar Jahre einmal, bleib aber aus alter Anhänglichkeit bei Stattauto (schließlich ist das Avantgarde, selbst Hans-Peter Dürr war dabei)
Klasse, alles richtig gemacht! 🙂
Interessant. Sehr wichtig aus meiner Sicht der Hinweis auf den ausbaufähigen ÖPNV auf Rügen. Und ich folge eher dem leider abgedroschenen Motto „Der Weg ist das Ziel“ – wer mit der Bahn nach Rügen fährt, sieht dabei deutlich weniger von M-V als ich mit dem Auto auf Landstraßen.
Auf den Landstraßen auf Rügen sieht man vor allem viel zu viele Autos, jedenfalls im Sommer. Sehr ätzend, wenn man dort zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist. Teils gibts an der B196 innerorts nicht mal einen Gehweg, geschweige denn einen Radweg.
Ich stimme Ihnen vollständig zu. Es hat seine Gründe, warum ich im Sommer nicht dorthin fahre. Würde ich aber auch mit der Bahn nicht. Denn selbst auf Wanderwegen ist die Hölle los. Wobei man die weniger bevölkerten Wege mit einen Auto wenigstens erreichen kann