CarSharing ist nicht gleich CarSharing

Am Montag lief in der ARD die Reportage „Exclusiv im Ersten: Mit Vollgas in den Verkehrskollaps“. Darin gab es u.a. starke Kritik an CarSharing-Anbietern. Leider wurde dabei ein Bereich komplett ausgeblendet.

Die Reportage begleitet einen Rechtsanwalt und seine Angestellte. Beide machen sich jeden Morgen aus Poing auf den Weg in die Münchner Innenstadt. Er im Auto, sie mit der S-Bahn. Er steht im Stau, bei ihr kommt die S-Bahn nicht. Am Ende brauchen sie beide fast zwei Stunden für eine Strecke, die normalerweise eine halbe Stunde dauert.

Dann geht es um neue Mobilitätskonzepte, v.a. um CarSharing. Um die Angebote von DriveNow und Car2Go. Experten und Nutzer der Dienste kommen zu Wort.

CarSharing sorgt demnach gar nicht für weniger Autos auf den städtischen Straßen, sondern ergänzt das eigene Auto entweder um zusätzliche hippe Nutzungsmöglichkeiten (schickes Cabrio am Wochenende) oder lockt ÖPNV-Kunden von der S-Bahn weg, weil sie lieber mit dem Smart zum Flughafen fahren, als mit der vollgestopften Bahn. Am Ende gibt es noch mehr Stau (Beispiel: San Francisco und die Uber-Staus).

Fazit: Für die beiden Pendler aus Poing ist CarSharing keine Alternative zum eigenen Auto.

In sich finde ich die Reportage schlüssig und gut argumentiert. Die Kritik an den erwähnten Anbietern ist meiner Ansicht nach größtenteils berechtigt und wird auch hier durch Untersuchungen vom Bundesverband CarSharing untermauert.

Free-floating Systeme ziehen offensichtlich Haushalte, die am privaten Autobesitz festhalten, stärker an. Stationsbasierte Systeme sprechen demgegenüber stärker Kunden an, die auf das eigene Auto verzichten.

Schade ist aber, dass jemand, der sich mit dem Thema CarSharing noch gar nicht beschäftigt hat, aber vielleicht mit dem Gedanken spielt auf das eigene Auto zu verzichten, einen falschen Eindruck bekommt, weil:

  1. neben den kritisierten Free-Floating-Anbietern DriveNow und Car2Go wird komplett weggelassen, dass es deutschlandweit zahlreiche stationäre CarSharing-Anbieter gibt und die sind tatsächlich eine Alternative zum eigenen Auto, allerdings …
  2. … ist das Pendlerpaar und ihr Anwendungsfall „Weg zur Arbeit“ genau das falsche Beispiel. Wer jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fährt, für den sind weder Free-Floating, noch stationäre Anbieter eine wirkliche Alternative, da beides viel zu teuer ist. (der konkrete Fall zeigt lustigerweise aber eines der Hauptprobleme für den täglichen Berufsverkehrsstau ohne es zu thematisieren: Menschen fahren jeden morgen vom gleichen Ort los, aber jeder mit seinem eigenen Verkehrsmittel, anstatt sich z.B. das Auto effizient mit Fahrgemeinschaften zu teilen)

Beim stationären CarSharing leiht man das Auto an einer bestimmten Station aus und bringt es auch wieder dorthin zurück. Stationäre Anbieter sind in der Regel deutlich günstiger, als die free-floatende Konkurrenz der großen Autohersteller und sind dadurch eine echte Alternative zum eigenen Auto.

Ich habe mal vier verschiedene Fahrtszenarien zwischen dem stationären Münchner Anbieter STATTAuto (ähnliche Anbieter gibt es in über 600 deutschen Städten und Regionen) und den beiden Free-Floatern Car2Go und DriveNow verglichen (die Preise sind Durchschnittswerte aus den verschiedenen Fahrzeugkategorien der Anbieter)

Wir (Familie mit zwei Kindern, Arbeitsweg zu Fuß/Rad/ÖPNV) haben in München seit über vier Jahren kein eigenes Auto mehr und nutzen die Fahrzeuge von STATTAuto. Ich habe darüber schon mehrmals gebloggt.

In aller Kürze noch mal die wichtigsten Vorteile, die das stationäre CarSharing uns gebracht hat.

  1. Es ist günstiger. Wir geben seit vier Jahren weniger Geld für unsere Mobilität aus, als mit dem eigenen Auto. (mit dem hier beschriebenen Spreadsheet kann man selbst ausrechnen, was für das eigene Mobilitätsbedürfnis günstiger ist)
  2. Es entlastet emotional und zeitlich. Keine Werkstatttermine, kein Reifenwechsel, kein Ärger, wenn mal was kaputt geht.
  3. Größere Flexibilität und Effizienz bezüglich Fahrzeugauswahl und Anwendungsfall. Für den Urlaub gibt es den Kombi, für den Wochenendausflug reicht die Miniklasse und wenn mal mehr zu transportieren ist kommt der Vito/Sprinter zum Einsatz.
  4. Immer aktuelle Fahrzeuge. Die STATTAuto-Flotte wird regelmäßig erneuert.
  5. Parkplatzsuche entfällt. Die STATTAutos haben alle ihre reservierten Stellplätze.

Die vermuteten Nachteile spielen für uns keine Rolle. Wir hatten noch nie das Problem, kein Auto mehr zu bekommen und die meisten Stationen sind ungefähr genauso weit weg, wie die Parkplätze, die wir davor mit unserem eigenen Auto genutzt haben. Im schlimmsten Fall muss man mal 5 Minuten mit dem Rad zu einer Station fahren.

Es gibt also neben den im ARD-Beitrag aufgezeigten Problemen mit den Angeboten der Automobilkonzerne durchaus sinnvolle CarSharing-Modelle, die für weniger (parkende) Autos in der Stadt sorgen können. Das sollte man der Fairness halber schon erwähnen.

Das stationäre CarSharing-Angebote wird den titelgebenden Verkehrskollaps nicht alleine verhindern, aber das Modell bietet eine gute Ergänzung zu einem vernünftigen Mobilitätsmix, der zumindest in urbanen Regionen mit guter Infrastruktur sinnvoll erscheint:
Alle kurzen Wege in der Stadt zu Fuß, mit dem Rad oder ÖPNV. Für längere oder transportaufwändige Fahrten das stationäre CarSharing-Auto.

5 Gedanken zu „CarSharing ist nicht gleich CarSharing“

  1. Tja, und leider immer nur die Betrachtung des Autos in der Stadt. Spätestens bei den Balken muss ich sagen: ein Ikea Besuch ist für mich ein Tagesausflug, ein Tagesausflug zum Freizeitpark wird zum Wochenendtrip, nur den Mietwagen der wäre in 50km zu machen.

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  2. Hab inzwischen auch fertig gelesen. Ganz unten steht urban. Hab die Doku nicht gesehen, die Twittertimeline hats mir empfohlen. Aber wie gesagt, in 50km wären Sixt, Hertz & Co erst anzutreffen. Ob es da auch kleine Anbieter gibt sagt die Karte nicht, ich kenn auch keinen.

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  3. Christian Lindner äußert sich auf Twitter zur Klimaschutzdebatte. Er hält nichts von Verboten, will nicht auf Mobilität verzichten und demnächst mit einem (eigenen) Wasserstoffauto in Berlin unterwegs sein. Alles im Namen der „Freiheit“.

    Wir haben eine Verpflichtung, #CO2 ein Limit zu geben. Nur so werden wir den #Klimawandel bekämpfen können. Unser Ziel sollte es aber sein, dass für das Erreichen dieses CO2-Limits niemand seine freie Lebensweise aufgeben muss. Deshalb: Innovationen! CL #Verzicht pic.twitter.com/QPU9pZvmd1— Christian Lindner (@c_lindner) September 24, 2019

    Freiheit und Unabhängigkeit, damit macht die Autoindustrie seit Jahrzehnten Werbung, das ist die Erzählung hinter dem Auto.

    Anders als CO2-Werte kann man Freiheit nur bedingt in Zahlen messen. Da ist immer viel individuelles Gefühl. Auto und Freiheit also. Hier mein Gefühl (und ein paar Zahlen).

    Mit 18 auf dem Land war mein erstes Auto ein roter Fiat Uno und das war definitiv ganz viel Freiheit. In einem 700-Einwohner-Dorf, wo drei mal am Tag ein Bus hält, bedeutet ein roter Fiat Uno: Unabhängigkeit von den Eltern, Disco, Großstadt (ja, ok. Heilbronn) und McDrive.

    Später dann, in Stuttgart und anschließend in München stand natürlich auch immer ein eigenes Auto vor der Tür.

    Wobei: direkt vor der Tür meistens nicht. Und da fängt’s auch schon an mit unseren (mittlerweile war meine Frau dazugekommen, später noch zwei Kinder) Autos und der Freiheit.

    Wir hatten die Freiheit jedes mal nach einer Ausfahrt erst mal noch 20 Minuten durch die Münchner Stadteile Giesing oder Haidhausen zu fahren um einen der raren Parkplätze zu finden. Vor der Tür war der dann meistens nicht.

    Unsere Freiheit bestand darin, mit dem Auto mindestens zwei mal im Jahr in die Werkstatt zu fahren („nur ne Kleinigkeit, Herr/Frau Bielinski“) und drei Tage später auf den Anruf des Meisters zu warten („Jaaaa, da haben wir jetzt noch was am Vergaser gefunden und der Keilriemen, ach, ach… Macht dann zusammen 1234 €.“)

    Es war grenzenlose Freiheit, als wir ein (geerbtes) Auto abholten und schon auf der Rückfahrt nach München der Motor komplett im Arsch war. Mitten auf der Autobahn. Und als wir einen Gebrauchtwagen bei einem Händler kurz vor Stuttgart kauften, eine Woche später feststellten, dass das Display nur noch flackert und offensichtlich ein Mangel vorliegt, der Händler dies aber, überraschenderweise, komplett anders sah.

    Und wieviel Freiheit im Spiel war bei den zwei abgefahrenen Rückspiegeln an unserem parkenden Auto. Also v.a. die Freiheit für die beiden Rückspiegelabfahrer sich nicht zu melden. Gemeldet hat sich immerhin der LKW-Fahrer, der unser in Freiheit parkendes Auto (das Geerbte, wir haben den kaputten Motor selbstverständlich austauschen lassen) seitlich ein bisschen aufgeschlitzt hat.

    Weiterhin zählten zu unseren Freiheiten: Reifen wechseln, TÜV-Termine ausmachen, im Stau stehen, KFZ-Versicherungen vergleichen, neue Autos recherchieren und KFZ-Steuer zahlen.

    Wir haben uns insgesamt so dermaßen frei gefühlt, dass wir 2013 unser Auto verkauft haben und auf stationäres Car-Sharing (nicht verwechseln mit den free-Floatern von ShareNow etc.), Bus, Bahn, Fahrrad und was der moderne, urbane Mobilitätsmarkt sonst noch so hergibt, umgestiegen sind.

    Seitdem müssen wir keine Parkplätze mehr suchen (jedes Car-Sharing-Auto hat seinen Stellplatz im nahen Wohnumfeld), uns nicht mehr mit Werkstätten rumärgern (die Wartung übernimmt der Car-Sharing-Anbieter), wir können immer das passende Auto zum jeweiligen Nutzungsfall mieten (Transporter für den Umzug, Mini für den Ausflug und Kombi für den Urlaub) und es anschließend einfach abstellen und nicht mehr dran denken. Wir haben keinerlei emotionale Bindung mehr zu den Autos, die wir nutzen.

    Und da das Auto jetzt nur noch eine von mehreren Mobilitätsoptionen ist, haben wir bei jeder anstehenden Fahrt die WahlFREIHEIT und nutzen zunehmend die Bahn. Die ist nämlich im Durchschnitt gar nicht so unkomfortabel und unpünktlich, wie ihr immer unterstellt wird. V.a. wenn man im ICE sitzt und im Radio die 20-Kilometer-Staumeldungen von der A8 München – Stuttgart hört.

    Gefühlte Freiheit – schon mal Haken dran. ✅

    Dazu kommt: Wir sparen Geld seit wir kein eigenes Auto mehr besitzen. Wie die Rechnung genau geht, kann man hier nachlesen. Die kurze Fassung: ein Auto zu besitzen kostet viel mehr, als nur die Benzinkosten. Die Balken unten zeigen, was wieviel kostet.

    Mehr finanzielle Freiheit – auch ein Häkchen ✅

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