in Mobilität, Tagebuch

Stadtkinder

Ich sitze am Nachmittag ein paar Minuten mit Kaffee und süßem Stückle (Schwaben wissen von was hier die Rede ist) auf dem Pariser Platz.

Der Pariser Platz ist im Prinzip ein Kreisverkehr (ja, ich weiß, dass er es eigentlich nicht ist und rechts vor links gilt, aber irgendwie muss man das den Ortsfremden ja anschaulich erklären) und in der Mitte ist ein gepflasterter Platz mit Begrünung und Sitzmöglichkeiten.

Der Platz ist gut besucht. Junge Leute, alte Leute und auch ein paar Eltern mit kleinen Kindern. Die Kinder machen, was Kinder so machen: Sie quasseln, rennen rum, machen Quatsch. Und sie lernen.

„Noah! Stopp! Nicht zu weit! Da fahren die Autos!“

Sie lernen, dass es hier einen exakt begrenzten Bereich gibt, an dem sie sicher sind, wo sie spielen dürfen.

Jede Mutter, jeder Vater kennt diesen Satz, sagt ihn in Variationen täglich auf dem Weg zur KiTa, zum Einkaufen oder zum Spielplatz. Spielplatz, noch so ein exakt begrenzter Bereich, wo sie spielen dürfen.

Für kleine Kinder besteht die Stadt grundsätzlich aus Lava mit ein paar sicheren Inseln. Welche Freiheit soll das sein, FDP!?

Am Abend bin ich zum ersten mal auf einer öffentlichen Sitzung meines Bezirksauschusses. Es geht u.a. um ein Projekt in der Kolumbusstraße, wo ein kleiner Bereich temporär in eine autofreie Zone umgewandelt wurde. Auf dem Teilstück stehen jetzt Hochbeete, Bänke, Sessel. Nachbarn treffen sich, Kinder spielen frei vor sich hin.

Befürworter und Kritiker des Projekts kommen zu Wort. Meine Vermutung war, dass sich die meisten über die weggefallenen Parkplätze aufregen, aber es kommt anders. Am meisten nervt die Kritiker: Kinderlärm.

Wir haben Kinder im urbanen Raum so wegversteckt auf ihre sicheren Inseln, dass sie, wenn sie endlich mal ein Stück echte Freiheit zurückbekommen, sofort stören. Das werden wir mit allen Beteiligten neu aushandeln müssen, wenn wir es mit der Umgestaltung unserer Städte ernst meinen.

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Kommentar

  1. Ich erlebe es beim Arbeiten für die Stadt im öffentlichen Raum immer wieder: Autolärm ist akzeptiert, lautere Kinder oder in dem Fall Jugendliche/junge Erwachsene sind dagegen nicht akzeptiert. Das ist an einem Ort wie dem Baldeplatz, der akustisch selbst in den Nachtstunden von einer großen Kreuzung beherrscht wird, schwer nachvollziehbar. Aber junge Menschen, die den greisligen Platz als ihren begreifen (und entsprechend gestalten wollen), sind das Problem…

    Und ich erzähle die Geschichte auch dieser Stelle, weil sie so symptomatisch ist:
    Als die Stadt der Polizei während der Hochphasen von Corona einige Mittel zur Hand gab (Alkoholverbot, später Glasflaschenverbot), machte sie davon eifrig Gebrauch – auch vor 22 Uhr. Unter anderem am Wedekindplatz in Alt-Schwabing. Sechs Mannnschaftswägen der Bereitschaftspolizei wurden an einem Abend eingesetzt. Währenddessen parkten ungerührt Taxis/Uber im absoluten Halteverbot, es wurde um den Platz mit getunten Autos gepost und Autos fuhren verkehrtrum durch Einbahnstraßen. Die Polizei interessierte das nicht. Das Durchsetzen des Glasflaschenverbots, was der Räumung gleichkam, am Platz war wichtiger.