Das Wetter wird besser. Es wird gefrühstückt und dann Rad gefahren.
Frühstücksthema erst mal die lokalen Preise. Das Kopenhagen nicht billig wird, war mir schon Anfang des Jahres bei der Hotelsuche klar. Zum Glück haben sie sich hier eine lustige Fantasiewährung ausgedacht mit einem maximal unpraktischen Euroumrechnungsfaktor. Ich hab mich also schon nach einem Tag daran gewöhnt, dass 70 DK ein ganz normaler Preis für einen halben Liter Bier sind und halte nur noch stoisch meine Bankkarte an jedes Kartenlesegerät. Für jemanden, der durchaus unter einem finanziellen Kontrollzwang leidet, für alles Excel-Listen führt und meistens tagesaktuell den eigenen Kontostand parat hat eine nicht zu unterschätzende Leistung.
Cycling Copenhagen
Die meisten Hotels bieten einen eigenen Fahrradverleih an, im Reiseführer wird Bycyklen empfohlen, von denen ist aber weit und breit kein weißes Fahrrad zu sehen (evtl. sind sie vor kurzem Konkurs gegangen?). Sehr viel sieht man aber die orangenen Bikes von Donkey Republic rumstehen. Für die entscheiden wir uns und bereuen es nicht. Die App ist einfach zu bedienen, man kann als Hauptnutzer mehrere Fahrräder parallel mieten und den anderen Nutzern dann sogar die Rechte geben, ihre Räder selbst zu entsperren. Die Räder sind solide, fahren sich angenehm, haben eine Smartphonehalterung und Gepäckträger mit Spanngurt. Wenn man eine Pause einlegt, lässt sich das Schloss einfach per App absperren und die Rückgabe erfolgt an speziell definierten Punkten in der Stadt. Das ist nicht ganz so flexibel wie z.B. die E-Scooter, die man in deutschen Städten einfach überall stehen lassen kann, aber die Rückgabepunkte sind zahlreich und der Vorteil liegt auf der Hand: Es stehen nicht an allen möglichen Unorten dumm abgestellte Leihfahrzeuge rum. Abgerechnet wird am Ende der Fahrt. Irgendein Betrag in der örtlichen Fantasiewährung.
Wir haben nicht so richtig einen Plan und ich schlage vor, dass wir nach Gefühl mal Richtung Innenstadt und Wasser losfahren. Und so cruisen wir einfach den ganzen Tag quer durch die Stadt und lassen uns von Station zu Station treiben. Das klappt ziemlich gut und macht Spaß, weil Kopenhagen ist offensichtlich Fahrradstadt. Das ist jetzt keine Weltneuheit, aber ich kannte das bisher nur aus Social-Media-Videos und Artikeln zur Mobilitätswende. Es in echt zu erfahren ist noch mal was ganz anderes.
Mein Gehirn ist komplett auf deutsche Fahrradinfrastruktur gepolt. Ich denke mir bei jedem Abbiegen, dass jetzt gleich der Radweg aufhören könnte, eine Engstelle kommen muss. Da geht doch sonst was nicht mit rechten Dingen zu. Das passiert aber an dem ganzen Tag kein einziges Mal. Es ist immer ein Radweg da und er ist immer breit genug. Am Anfang merken wir manchmal gar nicht, dass dieser breite Streifen da jetzt ein Radweg ist. Mitten in der Stadt Radwege mit durchgezogenem Mittelstreifen, wie so eine normale deutsche Autostraße? Komplett verrückt.
Ich schau mir den Gehweg an und teile ihn ganz automatisch im Kopf in einen Radweg- und einen Fußwegteil ein. Dabei ist die breite Spur nebenan der Radweg und der Gehweg gehört nur den Fußgängern. Es gibt Kreisverkehre mit eigener Radspur und Brücken, die nur für Radfahrer und Fußgänger da sind.
Irgendwann fällt mir ein an, was mich das alles erinnert: die Verkehrsübungsplätze bei uns, auf denen wir unseren Kindern das Fahrradfahren beibringen und die so weit weg wie nur möglich von der deutschen Fahrradrealität sind.
Der öffentliche Raum scheint irgendwie komplett anders aufgeteilt. Und das obwohl es natürlich auch Autos gibt. Und zwar gar nicht so wenige. Aber es gibt deutlich weniger Parkplätze am Straßenrand und das schafft diese eine Spur mehr auf beiden Straßenseiten für den Radweg und das schafft einen breiteren Gehweg. Es ist einfache Mathematik und eine Verteilungsfrage. Wem gibt man welche Priorität. Fußgänger haben mehr Platz, Radfahrer mehr Sicherheit und Autofahrer fahren deutlich rücksichtsvoller und defensiver, weil allein durch die geänderte Raumaufteilung ein anderes Machtverhältnis entsteht. Radfahrer sind viel präsenter und nicht so leicht zu übersehen. Es profitieren alle davon.
Es macht jedenfalls einen Heidenspaß und hier ist ein kurzer Instagram-Clip mit ein paar Eindrücken.
Die Tour beginnt
Wir radeln also auf gut Glück los. Durch die Innenstadt bis zum Nationaltheater. Von da aus einfach immer am Wasser entlang. Vorbei an fragwürdig benamten Privatjachten.
Bis zur kleinen Meerjungfrau. Die wird ganz gern fotografiert. Ich will mich nicht aufdrängen und erwische sie in einem privaten Moment von der Seite.
Von dort aus kann man ans andere Ufer schauen auf CopenHill, ein Kraftwerk, auf dem eine Skipiste angelegt wurde. Da fahren wir gleich noch rüber.
Erst aber immer weiter bis zu einem Kiosk, der sich nicht zu Unrecht The End nennt, denn dahinter geht es wirklich nicht mehr weiter.
Von hier blicken wir noch mal auf eine andere Uferseite. Den Nordhaven. Früher Hafen, jetzt viel Neubau mit unterschiedlicher Architektur. Ich hab mir die App des Danish Architecture Centre runtergeladen und von einer Kollegin den Guide to new Architecture in Copenhagen ausgeliehen – bin also bestens vorbereitet, um der Familie zu jedem einzelnen Gebäude auf dem Bild ein kurzes Referat zu halten, weiß aber um die Akzeptanz ungewollt eingebrachter Lightning-Talks meinerseits, lasse es also lieber und weise nur auf ein witziges Gebäude hin, dass sich hinter den beiden runden Zwillingstürmen, die aussehen wie Fusselbürsten und in denen die deutsche Botschaft beheimatet ist, versteckt. Da fahren wir jetzt hin.
Auf dem Weg treffen wir noch mal auf eine Variante der kleinen Meerjungfrau, die so aussieht, wie ich mich nach dem letzten Stammtisch gefühlt hab. Ziemlich matschig.
Dann fahren wir im Nordhaven ein. Die Uferpromenade vor der deutschen Botschaft eignet sich bestens für eine Mittagspause, im Rückgebäude befindet sich ein Lidl und vorne am Wasser ein öffentliches Bad. Es ist zwar viel zu kalt, um da reinzuspringen, aber man kann beim Essen Jugendliche beobachten, die in Badehose überlegen, ob es vielleicht doch nicht zu kalt zum reinspringen ist, sich aber auch nicht 100% sicher sind und halt noch eine Weile hin und her überlegen.
Frisch gestärkt dann zum eigentlichen Ziel der Fahrt. Ein Parkhaus. Ernsthaft? Ja, aber es ist schon ein ausergewöhnliches Parkhaus. Auf dem Dach des Konditaget Lüders befindet sich eine öffentlicher Fitness-Parkours, ein Spielplatz und grundsätzlich hat man eine schöne Aussicht über die Stadt.
Man erreicht das Dach über die Treppe außen am Gebäude und kann schon, wenn man das mit der Fitness ernst nimmt, unten einen roten Knopf drücken, dann 24 Meter nach oben sprinten, oben wieder einen Knopf drücken und bekommt dann auf einem Display die Zeit angezeigt. Wir nehmen es aber eher nur mit der Aussicht ernst und steigen in normalem Touristentempo hoch.
Das Dach sieht ein bisschen aus wie die Marsoberfläche. Alles rot. Und es ist ziemlich einsam da oben. Wie wohl auch das gesamte Nordhaven Quartier nicht superbelebt wirkt. Aber vielleicht ist das ja grad noch am Entstehen. Oben macht jedenfalls nur ein einzelner Dude, der so aussieht wie der eine vollbärtige Typ in der Instagram-Crossfit-Werbung, die mir aus unerklärlichen Gründen immer angezeigt wird, an den Fitnessgeräten komplett irrsinnige Sachen, die wider aller Schwerkraft sind. Da hier ja noch nicht so viele Menschen zu leben scheinen, kann es sich eigentlich nur um einen Angestellten der deutschen Botschaft handeln, der gerade Mittagspausenworkout macht. Diplomaten einfach toppfit und immer im Einsatz! Für Deutschland!
Nach dem Parkhaus ist vor der Müllverbrennungsanlage. Tourismus einfach auch mal neu denken. Wir machen uns auf den Weg zum schon erwähnten CopenHill. Man kann ja schließlich nicht genug Aussicht auf eine Stadt genießen, die man nur kurz besucht.
Auf dem Weg durchqueren wir mit den Rädern noch das Kastell von Kopenhagen. Eine alte Festungsanlage mit grünen Schutzwällen und einer eigenen Windmühle. Sie wird heute noch aktiv vom Militär als Kaserne genutzt und man kann trotzdem einfach so durchradeln.
Wir bleiben am Wasser. Bisher hat mich das mit der Nutzung des öffentlichen Raums ja voll überzeugt. Vieles ist für alle kostenlos zugänglich. Hier an diesem Steg will aber jemand offensichtlich wirklich mal seine private Ruhe und hat sich dafür was ganz Besonderes ausgedacht. Wir überlegen fünf Minuten, ob die Schlange echt ist, sind uns immer noch nicht ganz sicher und halten uns vorsichtshalber fern vom Steg. Abschreckungsziel erreicht.
Über vorbildlich ausgebaute Radwege erreichen wir dann die Müllverbrennungsanlage Amager Bakke (aka CopenHill). Sie wurde 2018 fertiggestellt und ist, natürlich, super-zukunftsweisend was die gesamte Technik angeht und die Architektur und überhaupt. In, an und auf dem Gebäude kann man Skifahren, Klettern, was essen oder einfach nur die Aussicht genießen. Während unten Müll verbrannt wird. Der Zugang zum Dach ist, natürlich, wieder kostenlos möglich. Es gibt auch keine Schlangenattrappen, die uns davon abhalten wollen. Nur der Wind, der verhindert, dass wir das Gebäude heute betreten können. Er ist einfach zu stark und alles ist zu, weil: Sikkerhed først, wie der Däne und die Dänin sagen.
Auf dem Rückweg machen wir noch kurz Halt in der Freistadt Christiania. Eigentlich nur, weil da das Bibbike der Lieblingsbibliothekarin herkommt. Als Touristenattraktion will uns der alternative Freistaat nicht so recht gefallen, weil: irgendwie komisch.
Die letzte Pause schließlich im Black Diamond. Der Royal Danish Library. Dort mit einem Kaffee rüber schauen auf die Fahrrad- und Fußgängerbrücke Cirkelbroen. Eine Brücke, die aus fünf runden Plattformen besteht und an ein fünfmastiges Schiff erinnern soll. Da müssen wir natürlich auch noch drüberadeln. Mich erinnern sie aber eher an Plattformen aus Super Mario Spielen und entsprechende Geräusche laufen in meinem Kopf beim Überqueren ab.
Danach ins Hotel und Pizza bei Mother.
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