Am 23. und 24. Februar 2017 findet in der Stadtbibliothek München ein Symposium „Public! Die Stadt und ihre Bibliotheken“ statt. Es soll um die Zukunft der Bibliothek im städtischen Raum gehen. Begleitend zu der Veranstaltung hat die Stadtbibliothek auch zu einer Blogparade aufgerufen.
Im pidq-Podcast19 reden Christian Fahrenbach und Katrin Rönicke am Ende über die gesellschaftliche Filterblasenbildung. Katrin Rönicke erzählt von ihrer Dorfjugend in den 80ern, als sich alle Kinder noch auf dem EINEN Spielplatz getroffen haben.
Heute hat jedes Einfamilienhaus seinen eigenen Spielplatz. Mit Trampolin, Sandkasten und Schaukel. Keiner muss mehr raus. Man bleibt unter sich.
Im städtischen Umfeld hat man vielleicht nicht genug Platz für den eigenen Spielplatz, aber dafür Geld für kommerzielle Kinderbespaßung. Kletterkurs, Ballettstunden, Geigenunterricht oder Indoorspielplatz. Kann man alles privat buchen, kostet aber halt Geld, was sich nicht jeder leisten kann und wieder bleibt man unter sich.
Damit die Menschen sich verstehen und respektieren können, müssen sie sich treffen. Ihre Filterblasen verlassen. Und zwar in echt.
Einer dieser (städtischen) Treffpunkte kann und muss die öffentliche Bibliothek sein.
Die öffentliche Stadtbibliothek bringt beste Voraussetzungen mit. Sie liegt zentral, ist gut erreichbar. Sie ist eine öffentliche Einrichtung, muss nicht profitorientiert arbeiten. Die Nutzungsgebühr beträgt in München nur 20 € im Jahr (ermäßigt 0 – 10€), die finanzielle Nutzungshürde ist also niedrigschwellig.
Die Münchner Stadtbibliothek macht schon viel um ein Ort der Begegnung und des Austauschs zu sein. Es gibt Sprachkurse, Fortbildungen in Medienkompetenz, Recherchehilfe für Schüler und unzählige Veranstaltungen für alle möglichen Zielgruppen. Dort treffen schon SEHR VIELE soziale Gruppen aufeinander, aber noch lange nicht ALLE.
Ich kenne viele Menschen, die nutzen keine öffentlichen Bibliotheken. Sie wissen nicht um die Angebote, können zu den regulären Öffnungszeiten nicht, weil sie arbeiten, meterlange Bücherregalwände schrecken sie ab und die Nutzung der Angebote ist Ihnen zu unkomfortabel.
Man muss schon sehr motiviert sein, um sich durch den Ausleihvorgang bei der Onleihe zu quälen (wenn gleichzeitig die Amazon Buchflatrate kinderleicht funktioniert) oder um sich mit zerkratzten DVDs herumzuärgern (wenn das Streaming bei Netflix auf Knopfdruck problemlos läuft).
Die Angebote der Stadtbibliothek sind von Nahem betrachtet eigentlich wahnsinnig umfangreich und inhaltlich manchen kommerziellen Angeboten sogar überlegen. Sie sind aber oft schlecht verpackt und/oder werden nicht offensiv genug verkauft.
Und das hält viele Gruppen, die eigentlich einiges einbringen könnten in den Kulturraum Bibliothek, von der Nutzung ab.
Eine Bibliothek für ALLE, ist für mich eine offene und durchlässige Bibliothek. Und zwar an mehreren Punkten:
1. Öffnungszeiten
München hat da gerade erst eine begrüßenswerte Ausweitung beschlossen und öffnet jetzt auch ausgewählte Stadtteilbibliotheken am Samstag. Mehr davon!
2. Offene Räume
Digitalisierungsprozesse sorgen für mehr Platz im Regal. In vielen öffentlichen Bibliotheken merkt man davon aber noch wenig. Vorherrschendes Möbelstück sind immer noch deckenhohe, vollgestopfte Bücherregale.
Natürlich kann man noch lange nicht auf physische Datenträger verzichten, aber die Digitalisierung sollte hier doch noch viel mehr neue, räumliche Gestaltungsalternativen ermöglichen, die den Fokus auf Offenheit legen und die „alten“ Medien gleichzeitig noch dezent und begrenzt verfügbar halten.
Das kann neue Räume schaffen, in denen man sich gerne aufhält und die Platz für neue Kooperationsmöglichkeiten mit externen Partnern bieten (s. Punkt 6).
Die Menschen setzen sich in Kaffeehausketten und zahlen Geld für überteuerte Heißgetränke, weil es dort WLAN gibt und die Sessel so bequem sind. Das kann die Stadtbibliothek doch auch. Und zwar ohne Verzehrzwang.
3. Offene Daten und Schnittstellen
Die Bibliotheken sitzen auf riesigen Datenmengen. Allein der OPAC (Gesamtkatalog) der Stadtbibliothek beinhaltet wahrscheinlich mehrere Millionen Medieneinträge. Gut und sauber erschlossene Medieneinträge, verknüpft mit weiteren Informationen, wie dem Standort oder der Verfügbarkeit. Abrufbar sind diese Daten aber nur über eine Weboberfläche mit dem Charme einer grauen Raufasertapete (daran ändert auch der kleine, optische Rebrush von vor zwei Wochen wenig).
Man könnte die OPAC-Daten über eine offene API freigeben und mit Open Data Aktivisten kooperieren. Ähnlich wie es im öffentlichen Nah- und Fernverkehr immer mehr Standard wird.
Sogar die Deutsche Bahn öffnet langsam ihre Datenschatulle, veranstaltet Hackathons und am Ende kommen interessante Anwendungen mit Usability und Mehrwert raus.
4. Offene Prozesse
Im Oktober 2015 habe ich an einem Zukunftsworkshop der Stadtbibliothek München teilgenommen. Zusammen mit Mitarbeitern und anderen Bibliothekskunden haben wir uns da in Arbeitsgruppen überlegt, wie die Bibliothek, v.a. digital, nutzerfreundlicher werden kann.
Der Workshop war in meiner Wahrnehmung gut und am Ende standen einige brauchbare Idee auf der Tafel.
Ich habe seither nie mehr was von dem Projekt gehört. Seit eineinhalb Jahren nicht. Ich weiß nicht, was aus unseren Ideen geworden ist, welche umgesetzt werden und welche nicht.
Nutzerbeteiligung ist gut und sinnvoll. Das kann gerne auch noch ausgebaut werden. Aber so ein Workshop ist ja nur der Anfang eines Prozesses. Wenn danach nicht mehr transparent nachvollziehbar ist, was aus den Ideen wird oder man in einer weiteren Runde vielleicht sogar daran mitarbeiten kann, dann ist das nicht mehr als eine Placebo-Beteiligung.
5. Offene Mitarbeiter
Die Stadtbibliothek München betreibt seit einiger Zeit ein Blog und bespielt auch verschiedene Social-Media-Kanäle mit Inhalten. Das ist schon sehr gut und zielgruppenorientiert, aber für mich ganz oft auch immer noch etwas unpersönlich.
Dabei haben Bibliotheken etwas ganz wichtiges, was Netflix, Spotify & Co nicht haben. Mitarbeiter, die im öffentlichen Raum präsent und persönlich ansprechbar sind. Warum dieses Pfund nicht noch viel mehr ins digitale übertragen?
Klar kann ich mir von Netflix Serien empfehlen lassen, die auf meinen bisher geschauten Serien basieren. Aber dann bekomme ich halt auch immer nur den gleichen Einheitsbrei, der nie über den Tellerrand hinausschwappt.
Wenn mir eine Bibliothekarin in einem persönlichen Blogbeitrag erklärt, warum ich mir vielleicht mal einen Roman durchlesen sollte, auf den Amazons Empfehlungslogik niemals gekommen wäre, dann erweitert das meinen Horizont.
Dafür will ich aber auch ein bisschen was über diese Bibliothekarin (oder den Bibliothekar) wissen. Die Reviews im Blog der Stadtbibliothek sind zwar meistens mit Namen gekennzeichnet, wirken aber trotzdem noch oft unpersönlich. Die Kolleginnen der Nachbargemeinde Grünwald treten da schon etwas offensiver mit Bild in die Öffentlichkeit.
Das ist sicher nicht jederfraus Sache, aber es gibt bestimmt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das gerne machen und v.a. auch können. Da darf ruhig noch mit mehr Selbstbewusstsein kommuniziert werden.
6. Offen für externes Know-How
Die Geschwindigkeit der verschiedenen Digitalisierungsprozesse stellt die öffentliche Bibliothek vor ganz neue Herausforderungen.
Auf dem Markt des Kultur-Sharings konkurriert sie jetzt mit globalen Anbietern wie Spotify, Netflix oder Amazon, die, wie oben erwähnt, v.a. mit Nutzerfreundlichkeit und Kundenorientierung punkten.
Um dort mithalten zu können braucht es zusätzliches Fachwissen, daß in den bibliothekarischen Studiengängen und Ausbildungen nicht unbedingt primär vermittelt wird (soweit ich das als außenstehender Beobachter, der 1999 ein artverwandtes Studium abgeschlossen hat, beurteilen kann. Lasse mich da aber gerne auch korrigieren).
Muss es auch gar nicht. Niemand kann alles können. Es sollte aber ein Bewusstsein dafür geben, sich dieses Fachwissen von außen dazu zu holen.
Wenn man mit Vereinen und Aktivisten zusammen arbeitet, fördert man zum einen nicht-kommerzielle Strukturen und Anwendungen und kann (s. Punkt 3) auch noch zusätzlichen Mehrwert für die Bibliothek herausholen.
Außerdem könnte man sich für berufliche Seiteneinsteiger öffnen. Fachfremde Spezialisten bringen wertvolles, externes Know-How und neue Perspektiven mit in das System. Das bibliothekarische Fachwissen können sie sich auch on-the-job aneignen.
Sehr anregender Beitrag. Danke! /mn