1989 spielte der Radiosender SDR3 knapp fünf Tage lang die Rekordhitparade Top1000X. Die (fast komplette) Songliste hab ich auf Spotify gepackt. Zum durchhören.
Meine musikalische und popkulturelle Sozialisation fand in den 80er Jahren in tiefster unterfränkischer Provinz statt. „Wir hatten ja nix“ stimmt natürlich nicht, aber: Wir hatten eher wenig.
Der nächstgelegene Plattenladen war zwölf Kilometer weg. Und das war eigentlich nur ein Elektronikladen, wo zwischen Kühlschränken und Glühbirnen ein paar Plattenregale rumstanden. Der nächste echte Plattenladen war 40 Kilometer weit weg und unerreichbar. Neue Musik kam in mein Jugendzimmer ausschließlich über das Radio. Und zu der Zeit und an dem Ort war das gleichbedeutend mit: SDR3.
SDR3 war die Jugendwelle des Süddeutschen Rundfunks. Ich erinnere mich an prägende Sendungsformate wie POINT, Dr. Music oder Plattenpost. Der Claim „Radio für den Wilden Süden“ verband damals große Teile der baden-württembergischen (Land)jugend (für die Städte kann ich nicht sprechen) stark an Sender und einzelne Moderatoren.
1989 hatten Thomas Schmidt und Stefan Siller die etwas größenwahnsinnige Idee, die längste Hitparade der Welt zu senden. Dafür wurde eine Woche lang das Programmschema komplett gekippt und Siller und Schmidt moderierten abwechselnd eine 1501-Titel-lange Hitparade, die die Hörer zuvor per Postkarte bestimmt hatten.
Schon nach einem Tag entwickelte sich eine ziemliche Eigendynamik und landesweit bildeten sich Dauerhörergruppen, zahlreiche Geschenkkörbe trafen im Sendehaus ein und die letzten 20 Titel wurden live im Garten der Stuttgarter Villa Berg vor knapp 10.000 Menschen angesagt. 10.000 Menschen, die nicht etwas zu einem Konzert einer Band gekommen waren, sondern um zwei Moderatoren dabei zuzusehen, wie sie Musikstücke ansagen.
Dieser kurze Zusammenschnitt vermittelt einen ganz guten Eindruck, wie das damals war.
Für mich, in meinem Jugendzimmer, bedeutet das v.a.: Leerkassetten kaufen und mitschneiden was geht. Ich hab die ganze Woche soviel Zeit wie möglich vor dem Radio verbracht, die letzten 100 Songs hab ich komplett auf Tape aufgenommen.
Aus heutiger Sicht wirkt die Liste etwas angestaubt, für mich haben sich damals aber einige musikalische Türchen geöffnet, die ich in den 90ern dann ganz aufgestoßen habe.
Es geht los mit „Fight for your right to party“ von den Beastie Boys und hört auf bei „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin. Dazwischen geht es manchmal ziemlich vogelwild zu und kurz nach „An der Nordseeküste“ läuft dann halt auch Metallica. Und neben Rock-Klassikern der Dire Straits finden sich damalige Charts-Eintagsfliegen wie die Fat Boys mit „The Twist„.
Das Konzept „Rekordhitparade“ hat der Sender danach noch ein paar mal aufgegriffen und mit der Top2000D und der Top1000XL noch eins drauf gesetzt. Den Impact der Top1000X hat aber, zumindest bei mir, keine der Nachfolgehitparaden erreicht.
Stefan Siller und Thomas Schmidt moderieren heute immer noch. Sie sind (mit zahlreichen anderen SDR3-ModeratorInnen) zum Sender SWR1 gewandert. Einen Großteil der Top1000X-Musik haben sie dorthin mitgenommen.
Weil es die Hitparade so noch nicht als Playlist bei Spotify gab, hab ich sie da mal hingepackt.
CSV-Listen aller bisherigen SDR/SWR-Hitparaden gibt es hier. Damit ich die 1501 Titel nicht von Hand einfügen muss, hab ich mir ein Python-Skript aus der aktuellen c’t genommen und quick&dirty so angepasst, daß es alle Tracks aus der CSV-Liste einliest, bei Spotify sucht und dort automatisch zu einer Playlist hinzufügt. Das funktioniert leider nicht 100% zuverlässig, weil die Suche über die Spotify-API zu jeder Anfrage immer bis zu 50 Ergebnisse ausgibt. Aber über ein paar zusätzliche Abfragen (u.a. nach Popularität des Tracks) bekommt man in den meisten Fällen das beste Ergebnis. Mit Sicherheit lauert in den Playlisten aber die eine oder andere Cover- oder Karaoke-Version. Hinweise darauf nehme ich gerne in den Kommentaren entgegen.
Außerdem gibt es manche Songs einfach nicht bei Spotify. Die Ärzte oder Herbert Grönemeyer sind z.B. grundsätzlich nicht bei dem Streaminganbieter gelistet.
Diese knapp 100 Titel konnten nicht gefunden werden. Da kann man sicher manuell noch den einen oder anderen rausfischen. Auch hier gerne Korrekturen in die Kommentare.
Aus Performancegründen habe ich die Hitparade auf drei Playlisten aufgeteilt. Insgesamt knapp 104 Stunden Musik.
Und für alle, die gerne die Originalreihenfolge von damals hören wollen, gibt es auch noch die Reverse-Playlisten: Platz 1501 bis 1001, Platz 1000 bis 501 und Platz 500 bis 1.
@heibie starke Sache. Auch wenn ich kein Schwabe bin. Hab die damals auch gehört soweit es ging.
super arbeit, heiko! hab ich sofort abonniert und werde ich gleich beim abendessen die familie mit unterhalten…
zu den fehlenden 100: oft liegt es an den schreibweisen und nicht an fehlender spotify-lizenz: einfach albatross mit 2 s schreiben, kristallnaach mit 2 statt 3 a, bigmouth statt big mouth, Zehnter statt 10. usw. dann gibts das auch. das skript mag wohl keine umlaute, akzente, etc. denn auch schwoißfuaß, mory kanté, hannes kröger, münchener freiheit, blue öyster cult sind da…
good job heibie!
Sabine ist begeistert von ihr soll ich dir gleich mehrere ????? zukommen lassen 😉
Dein angepasstes Skript ist wo zu finden?
Sortier mal nach Interpret dann kannst du die Karaoke Versionen schnell ausmerzen 😉 gleich in den ersten 20 Plätzen taucht die erste auf (Pink Floyd).
Lieber „Heibi“,
ich bin beeindruckt. Das war grad so eine Art Rückblick. Ich bin im Stuttgarter Raum aufgewachsen und Radio 3, wie es ganz früher noch hieß, war mein Sender. Sehr lustig, deine Erfahrungen von früher zu lesen. Wo genau in der fränkischen Provinz bist Du denn aufgewachsen? Da war ich nämlich auch noch, nach der Schule. Hatte einen Freund da und bin dann nach Würzburg, später nach Tauberbischofsheim gezogen (vorübergehend….).
Heute ertrage ich den Sender eigentlich nur noch Samstag mittags beim Fussball, sonst bin ich schon lange ausgestiegen. ist halt irgendwie immer das selbe (auch bei der Musik).
Auf Dich bin ich irgendwie über München gekommen, unsere Tochter studiert dort und dein Moin München auf Instagram gefällt mir! Allerdings waren schon lange keine Eichhörnchen mehr Thema. Schade eigentlich.
Herzliche Grüße, wieder aus dem Stuttgarter Raum,
Eva
Liebe Eva,
Das freut mich, daß es Dir gefallen hat.
Ich komme eigentlich aus dem Hohenlohischen (also eher so Unterfranken). Bad Mergentheim (und Tauberbischofsheim) lag immer so am Rand meines Einzugsgebietes. V.a. durch das Schwimmbad Solimar;-)
In Stuttgart hab ich auch 5 Jahre gewohnt. Grüße dorthin zurück!
Na, das ist doch schön, richte ich aus!
Ich bin in Schwäbisch Hall geboren, habe aber nie dort gewohnt, nur meine gesammelte Verwandtschaft. Unterfranken ist ja dann aber im Bayrischen – auch wenn man das einem Franken nie sagen darf. Ich meinte das jetzt aber rein als Bundesland.
Wir wohnen noch am Rande des Speckgürtels von Stuttgart. Das war zu „Familie mit Kindern“-Zeiten für uns sehr gut. Seit ein paar Monaten sind wir aber wieder kinderlos, deshalb gehen wir in die Stadt ab Anfang nächsten Jahres. Ich denke, das hat auch mit unserer großen Tochter, die in Haidhausen so mitten in der Stadt wohnt, zu tun. Da merkten wir, das ist einfach schön. Alles vor der Haustüre. Aus diesem Grund habe ich auch die Beiträge zum Thema autolos sehr interessiert gelesen. Wir werden dann auch kein eigenes Auto mehr haben/brauchen.
Es bleibt spannend – auch wenn die Kinder groß und aus dem Haus sind!
Viele Grüße,
Eva
Also „Unterfranken“ benutze ich eigentlich nur, wenn ich jemanden erklären muss, wo ich herkomme. Und Hohenlohe kennt NIEMAND 😉
Schwäbisch Hall ist auch super. War ich früher nie, gefällt mir mittlerweile aber sehr gut.
Im Alter (bzw. wenn die Kinder aus dem Haus sind, alt ist man ja trotzdem noch nicht ;-)) in die Stadt zu ziehen find ich sehr schlau. Ich glaube in Stuttgart kann man auch ganz gut ohne Auto unterwegs sein.
Hohenlohe kennt niemand, genauso wie den „Schwäbischen Wald“, den es ja in echt gibt und der auch noch schön ist. Ich komme ursprünglich vom Rande des Schwäbischen Waldes und sage aber auch immer aus der Gegend von Stuttgart!
Schönen Tag noch,
Eva (46 und wirklich noch nicht alt :-))