Weil es sich bei Venedig mit Indiana Jones 3 bewährt hat, schauen wir vor unserem Amsterdam-Tripp zur Vorbereitung den passenden Film: Amsterdamned, oder wie man es kaum besser übersetzen kann: Verfluchtes Amsterdam. Wie ich finde ein zeitlos ok gealterter 80er-Euro-Horror-Thrill-Klassiker, wie meine Frau findet: Gähn.
Jedenfalls im Gegensatz zu Indiana Jones 3 keine wirklich gut nachstellenswerte Szene enthalten. Dafür ausführliche, oder wie meine Frau sagt, schnarchige Hubschrauberflüge für den Gesamtüberblick über die Stadt. (Der Trailer ist aber durchaus blutig und wenn man noch eine Grachtfahrt vorhat, vielleicht lieber nicht auf Play drücken)
Wir reisen mit dem Nachtzug an. Meine erste Nachtzugfahrt seit 15 Jahren. Das 2er-Schlafabteil ist supereffizient eingerichtet. Es gibt sogar eine eigene Toilette mit Waschbecken. Und Dusche. Das mit der Dusche finde ich aber erst raus, als ich mir Hände waschen will und beim Druck auf den linken Knopf erst mal kein Wasser rauskommt, ich, ungeduldig wie ich bin, sofort auf den Knopf nebendran drücke und mir dann klar wird, wofür dieser senkrecht herausnehmbare Stab mit den kleinen Löchern da ist. Der Duschkopf. Ja, ich weiß, die Symbole sind eigentlich eindeutig, aber so ist der Mensch in seiner Ungeduld und Neugierde und am Ende ist die ganze Hose nass. Nicht mein einziges Missgeschick auf dieser Reise. Das zweite am Ende des Blogposts.
Unser Hotel heisst Hotel Library. Das macht Sinn aus unserer Sicht, weil ich mit meiner Lieblingsbibliothekarin unterwegs bin, aus Hotelsicht, weil das Hotel direkt gegenüber auf der anderen Wasserseite von einer wirklich sehr beeindruckenden Bibliothek liegt.
Die zentrale oba Bibliothek am Osterdam unterziehen wir natürlich noch am ersten Tag einer Begutachtung. Ein supermodernes Gebäude, 10 Stockwerke, jeden Tag von 10 bis 10 offen für alle. Mehr Superlative im Wikipedia-Eintrag. Wirkt alles, als wäre es erst vorgestern eröffnet, ist aber schon 15 Jahre alt. Muss also schon vor 20 Jahren geplant worden sein und da schlackern alle deutschen Bibliothekarinnen neidisch mit den Ohren. Warum das bei uns in der Qualität noch so selten ist? Die Niederlande haben ein zentrales Bibliotheksgesetz. Bibliotheken sind damit viel mehr Teil der Grundversorgung, die Finanzierung ist klar geregelt und v.a gesichert. In Deutschland regiert Föderalismus und am Ende kann und muss jede Kommune selbst entscheiden, wieviel Geld sie in so eine freiwillige Leistung steckt. Und freiwillige Leistungen streicht man bei knappem Haushalt natürlich zuerst. Ist aber alles nicht gottgegeben und der dbv fordert auch in Deutschland schon seit Jahren Bibliotheksgesetze. Wieder was gelernt.
Ja klar, im Urlaub fallen dir natürlich immer die Sachen auf, die geiler sind als zu Hause. Aber Amsterdam kocht ja bestimmt auch nur mit, zugegeben sehr schmutzigem, Wasser aus der Gracht? Auftritt Mobilität.
Wir fahren ÖPNV. Wir müssen dafür keine unverständlichen Waben-, Ring- oder Zonenpläne entziffern, keine Tickets am Automaten ausdrucken und in keiner App schon wieder Zahlungsdaten hinterlegen. Wir halten stattdessen beim Einsteigen unser Smartphone-Wallet/EC-Karte an ein Lesegerät und dann wieder beim Aussteigen. Es piepst kurz und alles andere passiert automatisch. In U-Bahn, Tram und Bus. Hier bitte das Emoji mit dem explodierenden Kopf denken.
Und dann Radfahren. Amsterdam ist Fahrradstadt, das ist keine News. Was das bedeutet, muss man erleben und erfahren (sic!). Alle fahren Fahrrad. Und die meisten fahren Fahrrad doch sehr selbstbewusst. Das bedeutet: als Fußgänger muss man eigentlich immer zuerst in alle Richtungen schauen. Egal ob Ampel oder Zebrastreifen freies Geleit verheißen. Fährt man selbst Rad, muss man sich erst mal ein Gefühl für den anarchisch wirkenden Radverkehrsfluss erarbeiten. Wenn man mal im Flow ist, geht es. Meistens. Stresst aber schon auch noch.
Wir leihen uns die bereits aus Dänemark erprobten Bikes von Donkey Republic und sind nur ein bisschen gestresst. Und ein bisschen im Flow.
Und warum ist das jetzt alles so? Wieso radeln die alle wie verrückt? Vom Teenager bis zum Anzugträger? Weil die Infrastruktur dafür da ist!
Eine ganz normale Radbrücke.
Noch eine ganz normale Radbrücke.
Ein ganz normaler Radtunnel.
Ein eigenes Fahrradparkhaus, in dem es eine Servicestation und Leihräder gibt? Ganz normal am Bahnhof.
In einem anderen Stadtviertel: Vom Fahrradparkhaus direkt zum Bibliothekseingang schieben? Klingt jetzt wirklich ausgedacht. Aber: ganz normal.
Autos gibt es natürlich auch noch. Gar nicht so wenige. Große und kleine.
Aber die Ansage ist klar. Sie sind nur zu Gast.
Und es wird erst mal nicht unsympathischer. In zentraler Lage gibt’s ein öffentliches Flussbad. Kein Eintritt!
Was wollen sie da jetzt noch draufsetzen? Frauenfreundliche Stadt vielleicht? Gilt natürlich nur, wenn es ein Typ mit einem Daumen nach oben bestätigt.
Dass höchstwahrscheinlich nicht alles in der Amsterdamer Stadtentwicklung superduper und unkontrovers verläuft, kann man sich im Arcam Museum anschauen. Viel Geschichtliches und Aktuelles zu sozialen Bewegungen, sozialem Wohnungsbau, umstrittenen Bauprojekten und nicht weniger umstrittener Architektur.
Direkt gegenüber vom Arcam liegt das Nemo. So ein toppmodernes Sendung-mit-der-Maus-Science-Museum für Kinder.
Das Dach ist eine schräge Rampe, die man auch ohne Museumsbesuch hochgehen kann. Frei für alle. Oben natürlich alles superökologisch begrünt und solarpanelt.
Viel weiter außerhalb des Zentrums, im Stadtteil Zuidas, steht das beeindruckende Gebäude The Valley. Warum es so heisst, sieht man auf den Bildern hier ganz gut. Wohnungen und Büros, alles extrem hochpreisig. Aber das Gute ist: The Valley ist im Außenbereich frei begehbar für alle. Wir erklimmen also am lauschigen Abend fast ganz alleine das offene Atrium und den verwinkelten Außenbereich mit einem fantastischen Blick auf die Stadt und das Training der Fußballamateure des AFC Amsterdam.
Wer Holland sagt, sagt auch Die alten Meister. Man kommt an einem Museum in Amsterdam nicht vorbei. Ein Besuch wird förmlich aufgedrängt. Wir besuchen vier davon. Das Highlight sind dann aber die jungen Meister. Das Street-Artmuseum Straat flasht uns. Eine alte Werfthalle, die früher illegal von außen besprüht wurde und heute dürfen dieselben Leute innen bezahlt ausstellen. Das ist mal Strukturwandel.
Zweitbester Spot: Das Rijksmuseum. Bei über einer Million Exponate kommt man gar nicht erst in Versuchung sich alles komplett anzuschauen. Die Nachtwache wird gerade aufwändig restauriert und ist mit einem Scannergestell verstellt. Auch überraschend: ein künstlerisch verziertes Kondom, benutzt (mehrfach).
Das Museum Ons‘ Lieve Heer überrascht mitten in der Altstadt mit einem Wohnhaus, in dem das komplette Dachgeschoss zu einer katholischen Kirche ausgebaut wurde. 17. Jahrhundert, die Protestanten sind an der Macht und sehen es nicht so gern, wenn die Konkurrenz ebenfalls Messe zelebriert. Solange sie es so machen, dass man es von außen nicht sieht, geht es aber klar. Baut man also ins Dachgeschoss eine Kirche ein.
Die Tour ist ziemlich interessant und hinter jedem gut informierten Touristen mit Audioguide steht eine Frau, die sich zur Sicherheit auch noch mal alle Infos anhört.
Schließlich noch Van Gogh. Der Mann hat ein eigenes Museum bekommen. Es ist selbst am späten Abend noch ein bisschen arg überlaufen.
Bei so viel Programm ist es wichtig, sich beim Frühstück zu stärken. Knifflig bei Hotelfrühstücksbuffets: wie transportiert man lose, bewegliche Teile vom Buffett sicher zum Tisch. Besteck etwa. Rutscht dir auf dem Teller hin und her und verabschiedet sich gerne mal auf den Boden. Ich hab mir deshalb angewöhnt Besteck in der Gesäßtasche zu verstauen und erst am Tisch wieder rauszuholen. Ähnlich fragil und gen Boden orientiert: Frühstückseier, wenn es keine Eierbecher gibt.
Schlau: Frühstücksei in die Gesäßtasche stecken. Nicht so schlau: auf den zwei Metern zum Tisch goldfischmäßig vergessen, dass man das Frühstücksei in die Gesäßtasche gesteckt hat und sich über das Knirschen beim Hinsetzen erschrecken.
@SonstHarmlos fands ziemlich intuitiv eigentlich. Man bekam beim Checkout/Checkin immer so nen grünen haken angezeigt. Aber noch hab ich die Abrechnung nicht 😉
Haha, selbiges neulich in Brüssel gehabt. Und warte auf die Abrechnung …
bielinski.de: Verfluchtes Amsterdam 2025 sehr schöner illustrierter reisebericht von heiko bielinski. habe mehrfach gelacht und noch öfter gestaunt. henning-uhle.eu: Blog lesen: Wie und wo ihr…
you are hilarious! loved the egg in the pocket. I want to do this exact trip and glad to see that bringing our folders isn’t necessary.
Ich finde nicht okay, dass ihr ganz andere Sachen in Amsterdam gemacht habt als wir als wir vorletztes Jahr da waren und jetzt habe ich rückwirkende FOMO.
Fahrt einfach noch mal hin!
P.S. Das mit dem Ei geht auch außerhalb von Amsterdam!
Friedrich Merz und der Sozialstaat: Man muss es nicht Klassenkampf nennen (€) „Jedes Mal, wenn eine Wahl in einem ostdeutschen Bundesland ansteht, deren erschreckende Ergebnisse…