Computerspiele für das eigene Kind? Gerne, aber dann bitte nur pädagogisch wertvoll. Warum eigentlich?
Vor drei Jahren landete der Psychologe Manfred Spitzer mit seinem Buch „Digitale Demenz“ einen umstrittenen Bestseller. Er forderte darin u.a. ein komplettes Bildschirmverbot bis zum 19. Lebensjahr. Ansonsten drohe ADHS und Internetsucht. Und noch bevor Deutschlands Klassenzimmer überhaupt flächendeckend digitalisiert sind, warnen die Autoren Gerald Lembke und Ingo Leipner in ihrem aktuellen Buch „Die Lüge der digitalen Bildung“ vor Computern, zumindest in den Klassenzimmern der Grundschule. Lembke und Leipner argumentieren zwar wesentlich differenzierter und sehen keineswegs die komplette digitale Verblödung heraufziehen, Anlass für eine positive Sicht der neuen digitalen Möglichkeiten geben sie dauerverunsicherten Erziehungsberechtigten aber auch nicht.
Viele Eltern, die ich kenne, lassen ihre Kinder durchaus mal mit Smartphone oder Tablet spielen. Entweder geht es dabei dann aber darum, die Kinder in Notfällen zu beschäftigen, einhergehend mit einem latent schlechten Gewissen, oder aber das Kind soll zumindest was Vernünftiges machen, also was mit Lernen, Vorschule oder ersten Leseerfolgen.
Warum aber nicht einfach mal was spielen lassen? Ohne pädagogische Hintergedanken.
Ich habe meinem siebenjährigen Sohn über die Schulter geschaut, wie er Tiny Thief auf dem iPad spielt. Das ist ein nettes, kleines Adventure-Puzzle-Spiel, bei dem es in jedem Level darum geht, ein paar Gegenstände zu stehlen ohne erwischt zu werden. Dabei muss man in klassischer Adventure-Manier, bei stetig steigendem Schwierigkeitsgrad, verschiedene Gegenstände sammeln und miteinander benutzen, um zum Ziel zu gelangen.
Und dann lernt er plötzlich doch was beim Spielen:
- Umgang mit einem Tablet
Klingt simpel, ist aber so. Mit jeder App, die er benutzt, wird ihm das Bedienkonzept eines Tablets vertrauter. - Bedeutung von Icons und Bildsymbolen
Lesen lernt er gerade erst, deshalb muss er versuchen, Symbole wie den “Play”- oder “Sound”-Button richtig zu deuten und einzusetzen. - Logisches und verknüpftes Denken
Wenn er im Spiel Schalter A drückt, passiert an Stelle B was und er kann Gegenstand C nehmen. Ursache und Wirkung. - Werbung erkennen
Die App nervt leider ab und zu mit Werbebannern. Die muss man identifizieren, wegklicken oder ignorieren. Kann er jetzt und hilft beim grundsätzlichen Verständnis, was Werbung in einer ökonomisch orientierten Gesellschaft ist und bewirken will. - Warten
Es gibt im Spiel eine Lösungshilfe, die man aber nur begrenzt nutzen kann. Danach muss man dafür bezahlen oder 24 Stunden warten. Er wartet dann, weil … - … Vorsicht vor InApp-Käufen und Abofallen!
Er entwickelt ein Bewusstsein dafür, dass es ein Geschäftsmodell sein kann, für zusätzliche Leistungen Geld zu verlangen und dass man darauf aber nicht unbedingt hereinfallen muss. - Frust und Misserfolg aushalten
Der Schwierigkeitsgrad im Spiel nimmt mit jedem Level zu. D.h. es klappt nicht alles gleich beim ersten Mal. Damit lernt er umzugehen. - Teamwork
Manche Rätsel hat er zusammen mit seiner jüngeren Schwester gelöst. - Trial and Error
Viele Lösungen sind auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegend und man muss viel und oft ausprobieren und Sachen wiederholen, bis was klappt. - Kreativität
Das ganze Spiel ist sehr schön gestaltet und jedes Level erzählt auch eine kleine Geschichte. Die Lösung vieler Rätsel erfordert durchaus kreative Gedankengänge, die auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegend sind. - Anleitungen verstehen
Die Lösungshilfe arbeitet komplett textfrei und kommt nur mit Bildsprache aus. Ein besseres Training für IKEA-Montageanleitungen gibt es nicht. - Eigene Grenzen erkennen
Ich lasse ihn immer wieder auch ohne explizite Zeitvorgabe spielen. Meistens erkennt er dann anhand seines eigenen Erschöpfungs- bzw. Frustgrades selbst, wann eine Pause angebracht ist. - Klauen
Es lohnt sich, dem König ein paar Golddukaten zu entwenden.
Natürlich versteht er vieles davon nur gemäß seines aktuellen Entwicklungsstandes und es ist essentiell, dass man die Kinder am Anfang nicht allein vor dem Bildschirm sitzen lässt, Fragen beantwortet, da ist und im Zweifel auch mal regulierend eingreift. Aber am Ende des Tages hatte der Sohn dann neben den ganzen aufgezählten, beiläufigen Lerneffekten v.a. eines: ganz schön viel Spaß.
Tablets raus, Klassenarbeit.
Tablets raus, Klassenarbeit.
Ich hab ja schon mal geschrieben, dass Kinder beim Spielen mit Smartphone und Computer immer irgendwas lernen. Heute aber mal fünf Beispiele bei denen die spielerische Wissensvermittlung tatsächlich auch im Mittelpunkt steht. Drei davon waren für den Kindersoftwarepreis Tommi 2015 nominiert, dessen Preisträger mittlerweile feststehen.
SesamstraßeiOS, Android (kostenlos), ab 4 Jahren
Nach der Sendung mit der Maus gibt es jetzt die nächste Instanz des deutschen Kinderlernfernsehens als App. Elmo, der in den aktuellen TV-Folgen eine wichtigere Rolle einnimmt, als in den Lilo-Pulver-Ausgabenmeiner Kindheit, begleitet die Kinder durch die App und erklärt leicht verständlich, wie die Bedienung funktioniert. Die Kinder können in sehr einfach gehaltenen Spielen ihr Gedächtnis trainieren, musizieren und erste Zahlenexperimente machen. Ähnlich wie bei der Maus-App, bietet auch die Sesamstraße direkten Zugriff auf zahlreiche Episoden und Kurzfilme. Einzelne Inhalte kommen auch direkt von der offiziellen Webseite der Sendung. Die Sesamtraßen-App ist komplett werbefrei und stört nicht mit nervigen In-App-Käufen.
The UnstoppablesiOS, Android (kostenlos), ab 6 Jahren
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Das Spiel wurde im Auftrag der Schweizer cerebral-Stiftung entwickelt und soll mehr Verständnis für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung schaffen. Was nach drögem, erhobenem Zeigefinger klingt, ist tatsächlich ein sehr charmant umgesetztes Point-and-Click-Adventure, welches seine Botschaft lässig nebenbei vermittelt. Die Hauptrollen spielen vier Freunde. Mai (etwas kleiner), Jan (ein bisschen dicker), Achim (Rollstuhlfahrer) und Melissa (blind) Melissas Blindenhund Tofu wird entführt und die Freunde machen sich auf, ihn zu befreien. Dabei müssen sie viele kleine Rätsel lösen, die sie nur zusammen bewältigen können, weil jeder eine ganz spezielle Superkraft hat. Extrem gutes Gehör, Bärenkräfte, Schnelligkeit und Sprungkraft.
Die Grafik ist im schicken Retrostil gehalten und die einfache und intuitive Steuerung wird auch von Kindern schnell erlernt. Ähnlich wie beim Adventure Klassiker Maniac Mansion wechselt man zwischen den Charakteren hin und her und löst mit den unterschiedlichen Fähigkeiten immer schwerer werdende Rätsel. Jüngeren Kinder sollte man auf jeden Fall unterstützend unter die Arme greifen.
Meinen Kindern hat das Spiel von den hier vorgestellten am Besten gefallen und sie arbeiten momentan zusammen weiter an Tofus Rettung.
Opera MakeriOS (kostenlos), ab 8 Jahren
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Konrads Oper – Opera Maker Beta-Testing from Interactive Media Foundation on Vimeo.
So geht interaktiver Musikunterricht. Mit dem Opera Maker können Kinder im Grundschulalter ihre eigene Oper erschaffen. Die App funktioniert als Animationsprogramm, mit dem man mehrere Szenen hintereinander reihen kann. In jedem Bühnenbild gestaltet man die Figuren, den Hintergrund und die Musik. Man kann aus vorgegebene Elementen auswählen und z.B. Stücke aus der Zauberflöte unterlegen oder komplett eigenen Soundschnipsel aufnehmen und einfügen. Die App erfordert ein bisschen Einarbeitungszeit und Geduld. Die Erstellung eines ersten Szenarios dauert schon ein paar Minuten. Die Bedienung und Nutzerführung ist aber sehr verständlich gehalten. Lesekenntnisse und Ausdauer sind von Vorteil. Die fertige Oper kann man dann als Video abspeichern und Oma und Opa per Mail zuschicken oder auf Youtube hochladen.
Monsters behave!iOS (4,99 €), Android (4,99 €), ab 5 Jahren
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Monster Mama hat zehn Monster-Kinder, die sich alle nicht so wirklich gut benehmen. Hinter jedem Monsterkind verbergen sich kleine Sprachspiele, die von den Kindern gelöst werden müssen. Die Figuren erinnern ein bisschen an die populäre Olchis-Reihe und werden jedem Kind sofort sympathisch sein. Es wird geschmatzt, gerülpst und mit dem Strohhalm geblubbert. Die einzelnen Spiele bestehen aus einer Reimeinheit, einem Wortpuzzel und einem simplen Minispiel, welches für lernfreie Auflockerung sorgt. Die Bedienung ist simpel. Erste Lesekenntnisse sind von Vorteil, mit elterlicher Begleitung können aber auch schon Vorschulkinder Erfolge erzielen.
Buchstaben SpielplatziOS (4,99 €), Android (4,99 €), ab 5 Jahren
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Jan Essig hat mehrere schön gestaltete Lern-Apps für kleinere Kinder im Angebot. Beim Buchstaben Spielplatz geht es um das Alphabet und erste Schreibversuche. Mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen lernen die Kinder ihre erste Buchstaben kennen und dürfen sie auch gleich auf dem Touchdisplay des Tablets nachschreiben. Die App nimmt die Kinder bei der Hand und gibt am Anfang optische Hilfestellung, wie man einen Buchstaben am besten schreibt. Die klar verständliche Sprachhilfe unterstützt zusätzlich und liegt in insgesamt sieben Übersetzungen vor. In der deutschen Version kann man zwischen „phonetischer Aussprache“ oder „Aussprache mit Vokalen“ umstellen. Man kann die App in einer eingeschränkten Kostenlos-Version (iOS/Android) testen, bevor man sie kauft.
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