Ich habe diesen Blogpost per Twitter entdeckt, und kann Dir in vielfacher Hinsicht nicht zustimmen.

„Umgang mit einem Tablet
Klingt simpel, ist aber so. Mit jeder App, die er benutzt wird ihm das Bedienkonzept eines Tablets vertrauter.“

Was ist der Vorteil für einen Sechsjährigen, wenn er kein Tablet hat? Dieses Wissen ist für mich so „wertvoll“ wie ein Wörter für Zahlen und Farben, die Kinder im Kindergarten oder in der Grundschule lernen. Schadet nicht, aber was soll das? Mehr zu wissen ist besser als wenig zu wissen, aber inhaltlich ist das irrelevantes Wissen.

„Bedeutung von Icons und Bildsymbolen
Lesen kann er noch nicht, deshalb muss er versuchen Symbole, wie den “Play” oder “Sound”-Button richtig zu deuten und einzusetzen.“

Auch das ist so wertvoll wie der Punkt zuvor. Außerdem sind diese Icons oft nicht so logisch, dass ein Transfer möglich ist. Diese Icons lernt man, und das kann auch noch später geschehen.

„Logisches und verknüpftes Denken
Wenn er im Spiel Schalter A drückt, passiert an Stelle B was und er kann Gegenstand C nehmen. Ursache und Wirkung.“

Ursache und Wirkung sind in Spielen oft reichlich komplex miteinander verbunden, logisch ist das nicht immer. Oder es ist so kompliziert verknüpft, dass der Zusammenhang nicht zu erkennen ist. Manche Spiele sind manchmal schon durch wildes Herumdrücken auf den Tasten zu bedienen, zumindest führt dies zuweilen zum Erfolg. Wo da dann Ursache und Wirkung gewesen sein sind ist gar nicht zu erkennen.

„Werbung erkennen
Die App nervt leider ab und zu mit Werbebannern. Die muss man identifizieren, wegklicken oder ignorieren. Kann er jetzt und hilft beim grundsätzlichen Verständnis, was Werbung in einer ökonomisch orientierten Gesellschaft ist und v.a. bewirken will.“

Du meinst, ein Sechsjähriger ist in der Lage, wirklich Werbung zu erkennen und darauf richtig zu reagieren? Er erkennt vielleicht, welche Fenster zum Spiel gehören und welche nicht, aber mit Verständnis für Werbung hat das nichts zu tun. Bei geschickterer Werbung oder dem nächsten Spiel steht er hilflos da. Und von wegen „ökonomisch orientierte Gesellschaft“: Hast Du ihm das so auch so erklärt? Mein Sohn (7 J.) hat genug damit zu tun zu verstehen, was Geld verdienen und Geld bezahlen wirklich bedeutet. Bis er „gewinnorientiert“ versteht, dauert noch was.

„Warten
Es gibt im Spiel eine Lösungshilfe, die man aber nur begrenzt nutzen kann. Danach muss man dafür bezahlen oder 24 Stunden warten. Er wartet dann, weil …“

Ein Sechsjähriger, der 24 Stunden warten kann? Glückwunsch, wenn Du so ein stoisches Exemplar hast. Nach meiner Erfahrung ist das eine totale Überforderung für Kinder, wenn sie sich vorher für etwas begeistert haben.

„… Vorsicht vor InApp-Käufen und Abofallen!
Er entwickelt ein Bewusstsein dafür, dass es ein Geschäftsmodell sein kann, für zusätzliche Leistungen Geld zu verlangen und dass man darauf aber nicht unbedingt hereinfallen muss.“

Du meinst, ein Sechsjähriger kann Abofallen erkennen?

„Frust und Misserfolg aushalten
Der Schwierigkeitsgrad im Spiel nimmt mit jedem Level zu. D.h. es klappt nicht alles gleich beim ersten mal. Damit muss man umgehen lernen.“

Das klappt nur, wenn er das vorher schon gelernt hat. Hast Du schon mal mit Kindern „Mensch, ärger Dich nicht“ gespielt? Frust und Ärger auszuhalten lernt man im Zusammenspiel mit anderen Menschen, galube ich, oder das Kind ist zufälligerweise ein ausgeglichener Charakter. Das gibt es, Menschen kommen mit unterschiedlichen Eigenschaften auf die Welt, aber wenn sie das nicht mitbringen, lernen sie es bestimmt nicht, wenn sie alleine an einem Gerät spielen.

„Teamwork
Manche Rätsel hat er zusammen mit seiner Schwester gelöst.“

Wo ist hier der Unterschied zu anderem Spielen?

„Trial and Error – Prinzip
Viele Lösungen sind auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegend und man muss viel und oft Ausprobieren und Sachen wiederholen, bis was klappt.“

Umgekehrt: Viele Lösungen sind reichlich komplex und zu schwierig, wenn es kein altersangemessenes Spiel ist oder ein sehr schlaues Kind am Tablet sitzt. Wenn das Kind geduldig und systematisch verschiedene Lösungen ausprobiert, dann hat es entweder eine Anlage dazu, oder es hat es an anderer Stelle schon gelernt.Alleine mit einem Tablet glaube ich nicht daran.

„Kreativität
Das ganze Spiel ist sehr schön gestaltet und jedes Level erzählt auch eine kleine Geschichte. Die Lösung vieler Rätsel erfordert durchaus kreative Gedankengänge, die auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegend sind.“

Das gilt auch für anderes Spielen.

„Anleitungen verstehen
Die Lösungshilfe arbeitet komplett textfrei und kommt nur mit Bildsprache aus. Ein besseres Training für IKEA-Montageanleitungen gibt es nicht.“

Das ist ja ein netter Gag, aber ist das wichtiges Wissen für ein sechsjähriges Kind?

„Eigene Grenzen erkennen
Ich lasse ihn immer wieder auch ohne explizite Zeitvorgabe spielen. Meistens erkennt er dann anhand seines eigenen Erschöpfungs- bzw. Frustgrades selbst, wann eine Pause angebracht ist.“

Das ist schön, wenn das so ist. Ich kann mich nur wiederholen: Veranlagung oder woanders gelernt. Ich weiß von verschiedenen Kindern, wo das nicht gelingt. Eine Nachbarin erzählte von ihren Kindern, die nachher regelrecht gestresst waren und zwischendurch heftig stritten. Nachher haben sie das auch erkannt, die Playstation wurde von der Mutter weggeräumt. Aber der Wunsch, so etwas auszuprobieren, ist trotzdem vorhanden.

„Klauen
Es lohnt sich, dem König ein paar Golddukaten zu entwenden.“

Das ist doch eine Notwendigkeit in dem Spiel, oder? Wenn Dein Kind demnächst heimlich ein Spiel spielt, bei dem man andere Kinderverprügeln muss, lernt es dann auch etwas oder nicht? Die sehr wichtige Einschätzung, wann man sich an Regeln zu halten hat und wann nicht, würde ich mein Kind nicht bei einem simplen Spiel mit einer konstruierten „Realität“ lernen lassen, die mit dem echten Leben vom Inhalt und von der Komplexität nichts zu tun hat.

Mein älterer Sohn durfte auch schon recht früh am PC spielen, ich habe da keine Probleme Erlebt und es ist eine bequeme Art der Beschäftigung für die Eltern. Aber meinem Sohn mit 9 Jahren zu erlauben, sich vom Kommuniongeld einen iPod touch zu kaufen, würde ich als meine schlechteste erzieherische Entscheidung bisher bezeichnen. Es gab immer nur Streit um das Ende der erlaubten Zeit, um die Inhalte, die er dort anschauen wollte, es gab Streit bei wenig Zeit genauso wie bei viel Zeit. Es kommt sehr auf das Kind an. Mein Sohn hat nicht viele Freunde gehabt, mit denen er sich treffen konnte, und wenn ich ihm andere Anregungen anbieten konnte, dann war das auch oft interessanter als das Gerät, oft aber auch nicht. Im Urlaub hat er das Gerät verloren, und seitdem hat sich die Sache sehr entspannt.

Von einem anderen internet-kompetentem Vater aus der Medienbranche las dass für seine Kinder Computer und Tablets auch nur ein Spielzeug unter vielen sind. Er sah aber nicht, dass seine Kinder auch sehr viel interessante andere Spielzeuge hatten, viele Freunde und die Möglichkeit, sich leicht mit denen zu treffen. Das ist hier weniger gegeben. Das muss beispielsweise berücksichtigt werden, wenn die Faszination dieser Geräte eingeschätzt werden soll.

Uns Menschen wird immer klarer, wie sehr wir ein Körper sind, und dass unser Körper untrennbar mit unserem Geist verbunden ist. Die Entwicklung des Körpers und des Geistes ist bei Kindern eng miteinander verbunden, und ich halte die Benutzung von Tablets und PCs für eine sehr „unkörperliche“ Tätigkeit. Im Kindesalter sind körperliche Erfahrungen (nach emotionaler Sicherheit und sozialem Erleben natürlich)für die Entwicklung zu wichtig, als dass sie zugunsten einer Vorbereitung auf eine digitale Zukunft verringert werden sollten. Das bedeutet nicht, dass elektronische Spielgeräte oder Medien vollkommen des Teufels sind, aber den Umgang damit kann man später immer noch lernen. Eine körperliche Entwicklung nachzuholen gelingt später aber nicht mehr.